33 - Am Stillen Ozean
Rechnung ziehen, welchen ich von Kong-ni erhalten hatte.
Wir sollten nach einem Tempel des Kriegsgottes Kuang-ti geschafft werden – darum also die wiederholte Warnung vor den Kuang-ti-miao. Es schien, als ob die Drachenmänner gar in den öffentlichen Tempeln ihre Geschäftsbureaux aufzuschlagen gewohnt seien, eine Tatsache, die allerdings nur in dem Reich der Mitte denkbar sein kann. Und was dabei meine höchste Teilnahme erregte, war der Umstand, daß die Portugiesin, von welcher ich zu dem Bonzen gesprochen hatte, in demselben Miao gefangengehalten wurde. Es schien wahrhaftig mein ‚Kismet‘ zu sein, auf allen meinen Reisen mit Personen in Berührung zu kommen, die ihrer Freiheit beraubt worden waren.
Wir waren seit meinem Erwachen wohl über eine Wegstunde stromaufwärts gekommen, als das Boot nach links hinüber lenkte und in einen jener vielen Kanäle einbog, welche in Form engmaschiger Netze die chinesischen Niederungen durchziehen. Das rege, bunte Leben, welches auf dem Fluß geherrscht hatte, hörte auf, und die Laternen verschwanden. Es wurde finster um uns her; nur die Sterne leuchteten zu unserer nächtlichen Fahrt, und einsam klangen die Schläge unserer Ruderer in die still und wellenlos dahingleitenden Wasser. Es wurde öfters in einen Seitenkanal eingebogen, so daß ich über unsere Richtung immer unklarer wurde, zumal ich am Boden des Bootes lag und der Bord desselben mir jede Aussicht verwehrte.
Endlich tauchte eine dunkle Masse vor uns auf, vor welcher wir hielten. Es war ein umfangreiches Mauerwerk, welches ich aber nicht lange zu betrachten vermochte, da uns beiden jetzt die Augen verbunden wurden. Dann löste man die Stricke, welche unsere Füße gefesselt hielten, und wir mußten uns erheben. Wir stiegen aus dem Boot und wurden an beiden Armen ergriffen.
Zunächst führte man uns eine, wie es schien, ziemlich breite Stufenreihe empor, dann durch mehrere schmale Eingänge über einige Höfe hinweg, bis wir endlich in einen geschlossenen Raum traten, wie ich an dem Widerhall unserer Schritte hörte. Hier nahm man uns die Binde wieder von den Augen, und ich erkannte nun, daß wir uns im Innern eines Tempels befanden.
Das Gebäude war aus sehr dicken Backsteinmauern errichtet, schien nur aus diesem einen Raum zu bestehen und zeigte die bekannten Figuren des Kriegsgottes, seines Sohnes Kuang-ping und seines martialischen Stallmeisters, welche von dem Licht mehrerer Lampen hell erleuchtet wurden. Auf den bloßen Steinen des Fußbodens saßen oder lagen in allen möglichen Stellungen wohl an die zwanzig Männer, welche mit Pfeil und Bambusknüppeln, unmöglichen Pistolen und allen Sorten von Messern, Dolchen und Degen bewaffnet waren. Einer von ihnen trug sogar eine beinahe löchrig gerostete Luntenflinte mit einem so langen und wie einen Korkzieher gebogenen Lauf, daß man hätte glauben sollen, das sonderbare Ding sei bloß gefertigt worden, um Röhren damit auszubohren.
Sie alle gaben sich übrigens die Mühe, eine wenigstens ebenso abschreckende Miene zustande zu bringen, wie der Stallmeister ihres dicken Kriegsgötzen. Ich verspürte aber nicht die mindeste Empfänglichkeit, mich ins Bockshorn jagen zu lassen; die Männer machten vielmehr infolge ihrer antediluvianischen Bewaffnung, ihrer langen Zöpfe, ihrer schiefen Augen, ihrer Stumpfnäschen und ihrer schlafrockähnlichen Bekleidung einen gerade entgegengesetzten Eindruck, und es war mir ungefähr zu Mute, als sei ich auf einer Dilettantenbühne als gefangener Heldenspieler unter Räuberstatisten getreten.
Mein guter Frick Turnerstick schien ganz dieselbe Ansicht zu hegen; wenigstens zwinkerte er mir mit den Augen in einer Weise zu, als habe er die größte Lust, seine riesigen Seemannsfäuste zu gebrauchen, sobald dieselben von ihren Banden befreit worden seien, und ich wußte, daß er allerdings der Mann sei, es mit einer Anzahl von ihnen aufzunehmen. Der Chinese zeichnet sich mehr durch List und Verschlagenheit als durch Körperkraft aus; er bramarbasiert gern, läßt sich aber durch Energie und Charakter sofort einschüchtern, und selbst wenn sich hier und da ein körperlicher Riese findet, so wohnt grad oft in einem großen Gehäuse eine desto kleinere und verzagtere Seele. Wenn es ja zum Kampf kam, so waren wir allerdings nur auf unsere Arme angewiesen, da man uns die Waffen nebst allem, was sich in unseren Taschen befand, abgenommen hatte.
Endlich zog man uns die Knebel aus dem Mund, so daß wir nun wenigstens vollständig
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