33 - Am Stillen Ozean
können.“
Also der Gruß war auch ein Erkennungszeichen; er wurde so ausgesprochen, daß die letzte Silbe eine Dehnung erhielt, also Tsching-tschi-ng statt Tsching-t-sching und Tsching-lea-o statt Tsching-leao. Dies erfahren zu haben, konnte von großem Vorteil sein.
„Ich habe dich nie belogen, aber trotzdem ist der Talisman mein rechtmäßiges Eigentum. Dir aber muß ich sagen, daß du sehr unvorsichtig bist!“
„Warum? Wir beide gehören zu der großen Lung-hui und können also über dieselbe reden!“
„Hast du gewußt, daß ich dazu gehöre? Ich habe dir das Zeichen nicht gegeben, und dennoch warntest du mich vor den Drachenmännern. Weißt du, was für eine Strafe darauf folgt?“
„Der Tod, wenn ich kein Ho-schang wäre. Aber einem Diener des großen Fo darf niemand als nur der Hoang-schan das Leben nehmen, denn nur er allein ist der Oberste aller Priester. Du warst gut und wohltätig, und da ich dich für einen Fremden hielt, habe ich dich warnen wollen.“
„Warum auch vor dem Kuang-ti-miao?“
„Das kann ich nun nicht sagen, denn du mußt es selbst wissen.“
„So lebe wohl! Aber eins muß ich dir noch sagen: Weißt du nicht, daß im Li-king zu lesen ist: ‚Die Höflichkeit verbietet streng, das Angesicht eines Mannes schamrot zu machen‘?“
„Ich weiß es. Warum fragst du mich?“
„Hast du mich nicht beschämen wollen? Hast du nicht gezweifelt an dem, was ich dir sagte? Und doch habe ich dir bewiesen, daß es die Wahrheit gewesen ist. Nun ist dein Gesicht rot vor Scham. Sei in Zukunft höflicher mit den Fremden, denn sie sind weiser und klüger als ihr. Tsching-lea-o!“
„Möge dich der Glücksstern auf deiner Reise begleiten! Und vergib mir, was ich Unrecht getan habe.“
Der Kapitän war mir schon vorausgegangen. Als wir an das Ufer des Stromes kamen, fuhr eben eine Gondel ab, welche neben der unsrigen gelegen hatte.
„Wer war dieser Mann?“ fragte ich den Schiffer.
„Ein Fischer, welcher hier ausruhen wollte.“
Wir stiegen ein und nahmen unser Segel wieder empor. Der Kapitän legte sich selbst in die Ruder; der Bootsmann nahm das Steuer, und ich betrachtete das auf dem Fluß herrschende rege Treiben. Wir hatten bei der Pagode länger verweilt, als es erst unsere Absicht gewesen war, der Abend schien nicht mehr fern zu sein, und die geschäftige Flußbevölkerung suchte die kurze Helle noch zu benutzen, um mit dem Tagewerk zu Ende zu kommen.
Es fiel mir auf, daß die Gondel, welche neben unserm Boot gelegen hatte, in grader Richtung auf das jenseitige Ufer zuhielt. Es konnte unmöglich die Absicht des Mannes gewesen sein, bloß auszuruhen. Dies hätte vorausgesetzt, daß er entweder eine längere Fahrt zurückgelegt oder noch vor sich habe; im ersteren Fall hätte er sicher gleich nach drüben eingelenkt, und im letzteren wäre er stromauf- oder stromabwärts gegangen, anstatt nach jenseits hinüber zu steuern.
„Kanntest du den Fischer?“ fragte ich den Bootsmann.
„Nein.“
„Was habt ihr gesprochen?“
„Nichts.“
Hätte mir ein schweigsamer Araber diese Antwort gegeben, so wäre es mir nicht eingefallen, an der Wahrheit seiner Worte zu zweifeln; der Chinese ist im höchsten Grade rührig und geschwätzig, und es war nicht anzunehmen, daß die beiden Männer so nahe nebeneinander gelegen hatten, ohne sich zu unterhalten. Warum aber belog mich der Chinese? Ich konnte mir keinen Grund denken. Ich erkundigte mich weiter:
„Nach Wam-poa können wir heute nun nicht kommen?“
„Nein.“
„So müssen wir uns einen Ort suchen, an welchem wir diese Nacht bleiben können. Weißt du einen solchen?“
„Es gibt überall Kung-kuan oder Tien. Die beste ist die Schen-kuang-tien, weiter oben am rechten Ufer.“
„Wie weit ist es bis dorthin?“
„Fünfzehn Li. Wir sind in einer Stunde dort, wenn der Wind sich so hält wie jetzt.“
„Bis dahin ist es vollständig Abend.“
„Das ist gut, denn dann wirst du sehen, wie schön der Fluß des Nachts für Fremde ist. Willst du in dieser Herberge einkehren oder soll ich dir eine andere nennen?“
„Wir werden dort einkehren.“
Je weiter wir kamen, desto dunkler wurde es. Unser Bootsmann steckte eine bunte Papierlampe auf; jedes, auch das kleinste Boot war mit einer derselben versehen, und die größeren Fahrzeuge wimmelten förmlich von ihnen. Diese Beleuchtung war außerordentlich notwendig; zwar war keine größere Stadt in der Nähe, aber so weit sich die Lichter erkennen ließen, schien der Fluß von
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