35 - Sendador 02 - In den Kordilleren
wir vornehmen konnten – nämlich warten.
Wir schwiegen beide. Ich ärgerte mich gewaltig über den Fehler, den ich begangen hatte. Es war ganz richtig: Hätten wir den Sendador ruhig durchschlüpfen lassen, so befand er sich dann innerhalb unseres Kreises und konnte uns kaum mehr entkommen. Freilich war er auch der einzige, der die Fähigkeit besaß, unserem Plan mit Erfolg entgegen zu arbeiten. Er wäre sicher die Nacht nicht still und untätig geblieben, sondern hätte einen Durchbruch versucht, welcher zwar nicht allen gelingen konnte, aber doch einigen gelingen mußte. Und bei diesen einigen hätte er sich ganz gewiß befunden. Dabei wäre es zum Kampf- und Blutvergießen gekommen, und ich hatte also jetzt wenigstens die Genugtuung, dieses letztere durch meinen Fehler verhütet zu haben. Leider aber war dieser Fehler nicht der einzige, den ich mir zu schulden kommen ließ. Es scheint, daß ich an jenem Abend nicht recht bei Überlegung gewesen bin. Ich hätte mir sonst sagen müssen, daß ich mich persönlich in der größten Gefahr befand.
Der Sendador trieb sich außerhalb unseres Kreises im Dunkel herum. Er hatte gesehen, an welcher Stelle ich mich befand. Ich wußte, daß er mich für den gefährlichsten seiner Gegner hielt, und so lag der Gedanke mehr als nahe, daß er versuchen werde, sich an mich zu schleichen, um mich unschädlich zu machen. Mir aber fiel es gar nicht ein, diesen Gedanken zu hegen.
Wir beide saßen einander stumm gegenüber, gaben unseren Gedanken und Empfindungen Audienz und horchten dabei in die Nacht hinaus, ob sich etwas hören lasse. Da war es mir, als ob ich ein leises Geräusch gehört hätte, ein Geräusch, wie wenn man mit der Hand über den harten Erdboden streicht und dabei kleine Steinchen oder größere Sandkörner aus ihrer Lage bringt.
„Sitzen Sie ganz still!“ raunte ich Pena zu. „Ich glaube, es kommt jemand gekrochen.“
„Wer denn?“ fragte er ebenso leise. „Etwa der Sendador?“
„Möglich, sogar wahrscheinlich. Lassen Sie uns hören!“
Ich legte mich lang nieder und hielt das Ohr an die Erde. Da vernahm ich das erwähnte Geräusch deutlicher; es näherte sich, aber von welcher Seite, das konnte ich nicht unterscheiden. Wenn ein so leises Rascheln an ein noch so feines Ohr zu dringen vermag, so ist anzunehmen, daß derjenige, welcher es verursacht, sich nur wenige Fuß entfernt befindet. Es war sicher, daß uns Gefahr drohte; ich kroch also, ohne mich aufzurichten, hart an Pena heran und flüsterte ihm zu:
„Geben Sie mir die Hand! Wir springen schnell auf und eine kleine Strecke fort, da nach rechts hinüber. Es ist jemand da. Eins – zwei – drei!“
Bei ‚drei‘ schnellten wir uns auf und fort. Ich hatte Penas Hand ergriffen, damit wir nicht auseinanderkämen – ein Ruck entriß sie mir, und dann hörte ich Penas Stimme hinter mir:
„Hölle und Teufel! Was – was – ah!“
Ich blieb stehen und horchte.
„Hund!“ fuhr Pena fort. „Du sollst mir nicht entkommen. Ich habe dich zu fest. Ich halte dich – au, o!“
Diese letzteren Interjektionen wurden im Ton des Schmerzes ausgerufen.
„Halten Sie fest!“ forderte ich ihn auf. „Ich komme!“
Und das war abermals ein Fehler, ja sogar eine unverzeihliche Dummheit von mir. Durch diese lauten Worte machte ich seinen Gegner auf die Hilfe, welche ich bringen wollte, aufmerksam. Ich hätte kein Wort verlieren, keinen Laut hören lassen sollen.
Ich eilte die wenigen Schritte zurück. Vor mir fuhr eine Gestalt vom Boden auf. Ich griff schnell zu und faßte sie beim Hals.
„Mein Himmel!“ krächzte der Mann in deutscher Sprache. „Sie haben ja mich, mich, mich selbst –“
Ich hatte also Pena gepackt und ließ ihn natürlich fahren. Aus geringer Entfernung von uns selbst erscholl die Stimme des Sendador:
„Mißlungen, aber nur für heute! Du deutscher Hund wirst schon noch mein!“ Im Nu hatte ich den Henrystutzen im Anschlag und gab fünf, sechs Schüsse nach der Gegend ab, in welcher sich der Rufende befand. Er schien heute gegen alle Verwundung gefeit zu sein, denn es war kein Laut zu hören, der uns hätte vermuten lassen können, daß er getroffen worden sei.
„Donnerwetter!“ fluchte Pena. „Ist das ein Abend! Alles, alles geht fehl, und zuletzt wird man durch seinen eigenen Genossen erwürgt und ums Leben gebracht. Warum packten Sie gerade mich und nicht ihn?“
„Weil ich nicht ihn, sondern Sie erblickte.“
„Mich erblickte! Ist denn das ein Grund, mir
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