35 - Sendador 02 - In den Kordilleren
kannte, so war meine Berechnung nicht schwer zu machen. Wir mußten um das kleine Gehölz einen Kreis bilden, dessen Durchmesser vielleicht achthundert Schritte betrug, folglich war der Umfang desselben ungefähr fünfundzwanzighundert Schritte lang. Ich schritt also, von den Roten gefolgt, die Kreislinie ab und ließ nach jedem zwölften Schritt einen Indianer stehen, welcher die Weisung hatte, jeden Fremden niederzuschießen, welcher in irgendeiner Richtung den Kreis durchbrechen wolle. Als ich auf diese Weise um das Gehölz herumgekommen war und wieder auf dem Ausgangspunkt anlangte, waren die Tobas alle verteilt, und nur ich allein stand mit dem Desierto außerhalb des Kreises, um, falls es nötig sein sollte, nach jedem beliebigen Punkt desselben zu eilen. Kaum war diese Aufstellung vollendet, so hörten wir aus der Gegend, in welcher das Dorf lag, schnell hintereinander zwei Schüsse fallen.
„Alle Teufel!“ sagte Winter. „Dort schießt man. Ich soll doch nicht etwa annehmen, daß wir hier das leere Gebüsch umzingelt haben, und daß die Mbocovis indessen nach dem Dorf sind, um es zu überfallen?“
„Daran ist nicht zu denken“, antwortete ich. „Der Sendador hat ja einen Boten von den Mbocovis erwarten wollen, die er für siegreich hält, während sie auf dem Felsen gefangen liegen. Im höchsten Fall hat er einen Kundschafter ausgesandt, und dieser ist mit Pena handgemein geworden.“
„Das haben Sie Pena doch verboten!“
„Freilich; aber man darf sich nie vollständig auf andere verlassen. Wir müssen ruhig abwarten, was kommen will. Aber gehen Sie jetzt einmal rundum von Mann zu Mann, und schärfen Sie den Leuten ein, daß sie ihre Aufmerksamkeit nicht nur vorwärts nach dem Gebüsch, sondern auch nach rückwärts zu richten haben. Sie sollen jeden, der sich ihnen von außen her naht, laut anrufen und ihn, falls er nicht stehen bleibt oder keine Antwort gibt, niederschießen.“
„Aber Herr, das laute Anrufen und Schießen muß den Mbocovis verraten, daß wir hier sind.“
„Das schadet nichts. Wir haben sie nun in der Mitte; sie mögen immerhin merken, daß wir da sind.“
Er ging, und es dauerte wohl eine Viertelstunde, ehe er zurückkehrte, um mir zu versichern, daß seine Leute auf ihrer Hut seien. Noch während wir sprachen, hörte ich Schritte, welche vom Dorf her näherkamen. Sie klangen laut und schnell. Der Betreffende befand sich also in großer Eile. Er wußte nicht, daß wir da waren und glaubte also nicht, Veranlassung zur Vorsicht zu haben.
„Ist das etwa Pena?“ fragte der Alte.
„Nein, denn dieser würde leise auftreten. Es ist der Kundschafter. Kommen Sie! Wir wollen versuchen, ihn abzufangen.“
Wir gingen dem Kommenden entgegen. Er kam uns schnell näher. Seine Gestalt tauchte vor uns auf. Ich hatte die Hände freigehalten, um ihn zu fassen, leider aber vergessen, dem Alten zu sagen, daß er nicht sprechen soll. Kaum erblickte er den Mann, so rief er aus:
„Quien vive – wer da?“
Der Angerufene stutzte, aber nur einen Augenblick lang, dann warf er sich mit einem raschen Sprung zur Seite. Ich hatte trotz der Dunkelheit seine Gestalt erkannt und war auf ihn eingesprungen, kam jedoch schon zu spät; er war verschwunden. Ich sprang ihm nach, in der Richtung nach rechts, die er eingeschlagen hatte; er mußte sie aber sofort wieder verändert haben, denn er war nicht zu sehen. Ich blieb also stehen und lauschte, konnte aber nicht das leiseste Geräusch vernehmen.
„Aufgepaßt!“ rief ich mit so lauter Stimme, daß meine Worte von allen unseren Leuten gehört werden mußten. „Der Sendador ist da; er will nach den Büschen. Laßt ihn nicht durch, sondern schießt ihn nieder!“
So viel mir am Leben dieses Mannes lag, so war es doch besser, ihn zu töten als ihn wieder zu seinen Mbocovis zu lassen, die ohne ihn führerlos und also weniger widerstandsfähig waren. Kaum war mein Ruf verklungen, so hörte ich seitwärts von mir eine unterdrückte Stimme im grimmigem Ton rufen:
„Tausend Teufel! Der verdammte Deutsche!“
Das war der Sendador. Er war so klug gewesen, sich niederzuducken, anstatt zu entfliehen und uns durch laute Schritte zu verraten, wohin er sich wende. Er hatte mich an der Stimme erkannt und war in der zornigen Überraschung so unvorsichtig gewesen, den Ruf auszustoßen. Ich wandte mich natürlich augenblicklich der Richtung zu, aus welcher sein Ruf erklungen war, tat dies aber nicht leise und heimlich und hätte diese Unvorsichtigkeit
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