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35 - Sendador 02 - In den Kordilleren

35 - Sendador 02 - In den Kordilleren

Titel: 35 - Sendador 02 - In den Kordilleren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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welcher Böses mit Gutem vergilt. Wir sind Ihre Feinde, auch die Feinde der Tobas gewesen; aber von nun an soll es anders sein. Von jetzt an soll Friede und Freundschaft herrschen zwischen ihnen und uns; ich wünsche das und bitte Sie, bei ihnen für uns zu sprechen. Ihre und eure Feinde sollen von jetzt an auch die unserigen sein.“
    „Diesen Wunsch werde ich euch erfüllen, und ich bin überzeugt, daß sie gern auf denselben eingehen werden.“
    Das war wieder einmal ein Beweis, daß das Beispiel mehr und besser wirkt als alle Lehren und Worte, denen die wirkliche Tat mangelt. Freilich war ich nicht in der Stimmung und Lage, augenblicklich eine große Versöhnungsrede halten zu können. Mein ganzer Körper schmerzte mich; ich bedurfte der Ruhe; aber ich sah den Sendador liegen und durfte nicht an mich, sondern mußte zunächst an ihn denken. Man hatte sich nur mit mir beschäftigt und ihn einstweilen unbeachtet gelassen. Er war noch ohne Besinnung. Als wir ihn untersuchten, zeigte es sich, daß der Aststummel ihm doch in den Rücken gedrungen war. Es war eine böse, jedenfalls außerordentlich schmerzhafte, wenn auch keine lebensgefährliche Wunde. Dennoch erschien mir sein Zustand als sehr bedenklich. Er lag mit halb geöffneten, verdrehten Augen da; sein Mund stand so weit auf, daß man die Zunge sehen konnte, und er röchelte, als ob ihm jeden Augenblick der Atem versagen wolle.
    „Das kann doch nicht nur von der Rückenwunde sein“, meinte der Bruder. „Er muß noch eine andere Verletzung davongetragen haben.“
    „Das ist sehr leicht möglich“, antwortete ich. „Denken Sie sich den Sturz, wenigstens siebzig Fuß in die Tiefe, und den Ruck, den es gegeben hat, als er von dem Stumpf ergriffen und aufgehalten worden ist. Wäre sein Gürtel nicht so fest gewesen, so hätte der Ast ihm den ganzen Rücken aufgerissen. Das hat eine innerliche Erschütterung gegeben, welche seinen Tod auch ohne alle äußere Verletzung zur Folge haben kann.“
    „Wollte Gott, er kehrte ins Bewußtsein zurück und dabei zur Einsicht seiner Sünden! Wollen versuchen, ihn aufzuwecken.“
    Unsere Bemühungen waren nicht vergeblich. Zwar ging der Atem noch so schwer wie vorher, aber die Lider öffneten sich vollends; die Augen bekamen Leben und gingen mit einem bewußten Blick in unserem Kreis von einem zum anderen herum. Der Bruder ließ sich neben ihm nieder und sagte:
    „Geronimo Sabuco, sind Sie zu sich gekommen? Erkennen Sie uns?“
    Der Gefragte hatte versprochen, daß er alles bekennen wolle; ich erwartete, wenn auch keine freundliche, so doch auch keine direkt feindliche Antwort; aber als seine Lippen sich öffneten, kam es zischend zwischen denselben hervor:
    „Fort! Geh zum Teufel!“
    „Sprechen Sie nicht so! Vielleicht ist der Tod Ihnen nahe. Schließen Sie Ihre Rechnung mit dem Leben ab und denken Sie nur allein an Gott!“
    „Ich sterbe nicht!“
    „Wenn Sie auch nicht infolge des fürchterlichen Absturzes sterben, so müssen Sie doch bedenken, daß Ihr Tod eine beschlossene Sache ist. Sie sind dem Gesetz der Pampa verfallen.“
    Da richtete der Sendador sich in sitzende Stellung und fragte mit gurgelnder Stimme:
    „Wer von euch wagt es, mich zu richten? Dieser Hund von Gomarra ist tot; er ist selbst schuld an seinem Untergang. Kein anderer darf mit mir rechten. Wenn ihr mich tötet, bekommt ihr die Kipus nicht!“
    „Sie irren“, entgegnete ich. „Sie lachten mich zwar aus, als ich Ihnen sagte, daß ich nach ihren Spuren suchen würde; ich habe es aber doch getan und weiß nun, wo sich die Knotenschrift befindet.“
    „Wo?“ fragte er höhnisch.
    „Sie haben uns schon einmal verhöhnt, weil wir nicht sorgfältig gesucht hatten; diesen Fehler begehen wir nicht zum zweiten Mal. Ich weiß jetzt genau, was Sie mit der Flasche vorgenommen haben. Sie nahmen die Kipus heraus, füllten sie mit Sand und warfen sie in den See; die Kipus aber nähten Sie in Ihr Gewand ein. Wir werden sie jetzt finden.“
    Der Ausdruck seines Gesichts wurde ein anderer, der Hohn verschwand; es flog eine Angst über die verwetterten Züge. Er griff mit der linken Hand unwillkürlich nach der rechten Brustseite und rief:
    „Das träumen Sie. Unter den gegebenen Umständen wäre es Wahnsinn von mir, die Schnüre bei mir zu tragen.“
    „Wenn auch nicht Wahnsinn, aber doch Unvorsichtigkeit. Und unvorsichtig sind Sie gewesen, sogar eben jetzt wieder, denn Sie haben mir mit Ihrer eigenen Hand gezeigt, wo die Kipus sich befinden,

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