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35 - Sendador 02 - In den Kordilleren

35 - Sendador 02 - In den Kordilleren

Titel: 35 - Sendador 02 - In den Kordilleren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Stumpf los und hing an dem Riemenseil, an welchem er sich wie ein Kreisel drehte. Er schrie vor Entsetzen aus Leibeskräften. Unter mir brach, knickte und krachte es. Um den schweren Mann zu heben, hatte ich eine Kraft anwenden müssen, welcher der Stumpf doch nicht gewachsen war. Die Wurzeln lösten sich vom Felsen, langsam zwar zunächst, aber ich sank. Noch einen Augenblick, und es war um mich geschehen. Ich zog an dem Riemen, der mir am Arm hing, den Sitz zu mir heran, erwischte aber nur das eine Seil – ein neues, stärkeres Kollern und Prasseln, der Boden wich unter meinen Füßen; ich hing mit einer Hand über dem Abgrund und schwebte wie ein Pendel hin und her. Meine Gefährten sahen es von oben; sie schrien; der Sendador brüllte wie ein Stier; ich behielt die Besinnung, die Ruhe und ließ nicht los. Ein Griff mit der linken Hand, und ich faßte auch das andere Seil. Wie an einem Schwebereck schwang ich mich von unten auf und kam auf die Lanzen zu sitzen. Die Gefahr war vorüber. Mit Schaudern sah ich die leere Stelle des Spaltes, in welcher sich vorher der Baumstumpf befunden hatte.
    Nun gab ich mir zunächst Mühe, die pendelnde Bewegung meines Sitzes zu beruhigen. Als mir das gelungen war, band ich mich mit Hilfe des Riemens wieder fest und griff mit der Rechten nach dem Seil, an welchem der Sendador hing. Dieser war still geworden; er hatte die Besinnung wieder verloren, und das war mir sehr lieb. Ich winkte nach oben, um sein Seil anziehen zu lassen. Man tat es; er kam vor mir zu hängen; ich zog ihn zu mir heran, hielt ihn fest und gab das Zeichen, an allen drei Seilen gleichmäßig zu ziehen.
    Das war eine schreckliche Auffahrt. Wir schwankten hin und her; wir wurden um unsere eigene Achse gedreht. Ich hatte die Arme nicht frei und konnte mich nur der Füße bedienen, mich vom Felsen abzuhalten. Es gelang mir nicht stets: ich wurde öfters gegen denselben geschleudert und gab mir die größte Mühe, daß nicht der Sendador, sondern ich diese Karambolagen auszuhalten hatte. Ich fühlte mich wie gerädert und zertreten, als wir endlich oben an der Felsenkante anlangten. Aber ich war noch nicht in Sicherheit. Zunächst galt es, den Besinnungslosen über dieselbe hinweg zu bringen. Ich stemmte mich mit den Füßen gegen den Felsen, hielt mich von demselben ab, nahm den Sendador bei den Schenkeln und hob; die anderen zogen; es gelang. Dann stellte ich mich auf den Sitz; man zog vorsichtig an; ich gab erst die eine, dann die andere Hand über die Kante hinüber; man ergriff sie; man zog rascher, ein kräftiger Ruck von oben, ein Schwung meinerseits mit den Beinen – ich befand mich auf der Felsenplatte und knickte zusammen. Ich hörte Töne wie von Posaunen und Tubahörnern und verlor die Besinnung; der Körper vermochte dem Willen nicht mehr zu gehorchen. Als ich erwachte, lag ich mit dem Kopf im Schoß des Bruder Jaguar. Er sah, daß ich die Augen öffnete, stieß einen Jubellaut aus, hob meinen Kopf empor und küßte mich auf Stirn, Mund und Wangen, nicht darauf achtend, daß seine Freudentränen mir das Gesicht befeuchteten.
    „Sie leben! Sie leben!“ rief er dabei. „Dem Allgütigen sei Dank! Welch ein Unternehmen ist das gewesen! Nie, niemals wieder würde ich in so etwas willigen! Ich sah den Stumpf zur Tiefe stürzen und Sie an einer Hand am Seil hängen. Es war fürchterlich!“
    Er legte die Hände über die Augen und schluchzte laut; er, der starke, viel erfahrene Mann! Auch die anderen waren tief ergriffen und hatten Tränen in den Augen. Der Yerbatero umarmte mich, als ich mich erhoben hatte; ich wurde, sozusagen, von einer Brust an die andere genommen. Zuletzt drückte mich Pena an das Herz und sagte im Ton der tiefsten Ergriffenheit:
    „Señor, ich bin oft, sehr oft hart und ungerecht gegen Sie gewesen; ich werde es nicht wieder tun. Können Sie mir verzeihen?“
    Ich verzieh nur gar zu gern; ich hatte ja nicht weniger Fehler begangen als er, und jetzt, da ich die Liebe dieser braven Leute so deutlich sah, mußte ich mir aufrichtig sagen, daß mein Verhalten gegen sie nicht immer ein vorwurfsfreies gewesen war.
    Die Chiriguanos hatten von fern gestanden. Jetzt trat ihr Anführer zu mir heran, bot mir seine Hand und sagte:
    „Nicht wahr, Herr! Der Sendador hatte es schlimm mit Ihnen vor, hat Ihnen sogar nach dem Leben getrachtet?“
    „Allerdings.“
    „Und Sie haben Ihr Leben gewagt, um ihn, wenn auch nur seinen Körper, zu retten! Das haben Sie getan, weil Sie ein Christ sind,

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