35 - Sendador 02 - In den Kordilleren
Betrachten dieser Spur werden Sie wohl nicht zu einer Antwort auf unsere Frage kommen“, meinte Pena.
„Das ist wahr“, gab ich zu. „Aber wie war denn der Zettel befestigt?“
„Er steckte an einem dünnen, halb abgebrochenen Ästchen. Ich hab' es noch hier“, antwortete der Yerbatero. „Ich brach es vollends ab, um das Papier nicht zu zerreißen.“
„Zeigen Sie her!“
Der Yerbatero gab mir den Zweig, welcher ganz dürr und von der Stärke einer Stricknadel war. Ihn betrachtend, sagte ich:
„Das ist ein Ästchen der Aristolochia, welche sich da an der Böschung heraufwindet; der Baum aber ist ein Platano. Der Zweig ist also erst durch das Papier und dann in den Stamm gesteckt worden. Gab es denn in demselben einen Riß oder ein Loch?“
Ich untersuchte die Stelle und sah eine kleine, scharfrandige Vertiefung, welche die Form eines Ausrufezeichens ohne Punkt hatte, oben breiter und unten spitz.
„Der Sendador hat ein Messer gehabt!“ rief ich verwundert aus.
„Sollten wir es nicht bei ihm gefunden haben?“ fragte Pena.
„Dann könnte es nur ein Taschenmesser, ein Einbieger sein, der nicht viel Platz wegnimmt und in eine kleine Tasche gesteckt werden kann. Nur in diesem Fall wäre es möglich, daß wir es übersehen hätten. Dieses Messer hat aber eine beinahe drei Zoll breite Klinge gehabt; so breit ist kein Taschen- oder Einschlagemesser. Es ist ganz gewiß ein Cuchillo mit fester Klinge gewesen, wenigstens zehn Zoll lang mit dem Griff, und das hätten wir, als wir ihn durchsuchten, unbedingt gesehen.“
„So hat er es von irgend jemanden bekommen?“
„Ohne allen Zweifel! Es ist auf alle Fälle von Vorteil für uns, zu wissen, wen er getroffen hat. Ich reite auf seiner Spur zurück. Es fällt mir natürlich auf, daß er sie uns hat verbergen wollen.“
„Verbergen? Woraus schließen Sie das?“
„Daraus, daß er nicht an der Stelle geblieben ist oder dort den Zettel angeheftet hat, wo er aus der Pampa wieder auf unseren Weg traf. Er ist noch eine volle Viertelstunde lang auf demselben fortgegangen, um unsere Aufmerksamkeit nach vorn zu lenken und von rückwärts abzuziehen. So klug und erfahren er ist, hat er doch, indem er die Spitze des Messers in den Baum bohrte, eine große Unvorsichtigkeit begangen; denn nun wissen wir, daß er ein Messer bekommen hat. Er konnte das Papier auf andere Weise befestigen.“
„Es fragt sich, ob es wirklich von ihm ist. Es steht kein Name dabei.“
„Von wem soll es sonst sein? Es ist für uns bestimmt, und der Sendador hat es geschrieben. Sie bleiben alle hier, bis wir zurückkehren; der Bruder und Señor Pena mögen mich begleiten.“
Wir drei ritten zurück, und zwar galoppierend, um so wenig Zeit wie möglich zu verlieren. An der Stelle, wo wir die Spur des Sendadors getroffen hatten, verließen wir das Flußbett und ritten auf die Pampa hinaus, um ihr dort zu folgen. Wir kamen durch Gesträuch, dann auf eine größere Prärie, auf welcher wir die Pferde aus allen Kräften laufen lassen konnten. Die Fährte lag deutlich vor uns; es wäre unmöglich gewesen, von ihr abzuweichen.
Von Zeit zu Zeit sah ich nach der Uhr, um die Entfernung schätzen zu können. Es verging eine Viertelstunde nach der andern; die Spur führte stets in gerader Richtung weiter, bis wir das Ende der Prärie erreichten. Wir waren eine volle Stunde geritten, und die Sonne berührte fast den Horizont. Aber wir befanden uns nun auch am Ziel, denn wir sahen, was wir gesucht hatten.
Vor uns lag wieder Wald, welchen ein Rand von Buschwerk einsäumte. Aus diesen Sträuchern war der Sendador gekommen, und zwar nicht allein. Es hatte sich eine zweite Person bei ihm befunden und sich hier von ihm getrennt. Der Sendador war südwärts gegangen, nach der Richtung, in welcher unser Flußbett lag, der andere aber nach Westen, den Büschen entlang, an welchen wir standen. Wir sahen seine Spur und untersuchten dieselbe. Der Mann war ein Indianer gewesen.
„Das ist bedenklich!“ meinte Pena. „Ich wollte lieber, daß es ein Weißer gewesen wäre.“
„Warum?“ fragte der Bruder. „Der Sendador hat diesen Mann ganz zufällig getroffen und ihn um sein Messer gebeten.“
„Ganz richtig! Aber wo im Gran Chaco ein Indianer ist, sind ganz gewiß noch mehr in der Nähe. Oder meinen Sie, daß ein Roter sein Messer, welches er so notwendig braucht, verschenkt, wenn nicht Genossen von ihm nahe sind, von denen er wieder eins bekommen kann? Auch gibt ein Indianer kein Messer her, ohne
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