35 - Sendador 02 - In den Kordilleren
Tritt traf ihn an den Leib und warf ihn wieder zur Erde nieder. Dann aber kniete ich auf ihm, nahm ihn beim Hals und drohte:
„Wollen Sie wohl Ruhe geben, Sie wahnsinniger Mensch! Soll wirklich Blut fließen, dann ist's doch nur das Ihrige! Oder bilden Sie sich wirklich ein, gegen mich aufkommen zu können?“
Vorhin hatte ich gar wohl bemerkt, daß die Gründe, welche Pena in so ruhiger Weise gegen mich vorbrachte, bei meinen Gefährten Wurzel faßten. Aber wenn sie durch diesen beinahe zu der Ansicht bekehrt worden waren, daß er recht und ich unrecht hatte, so brachte jetzt das wütende Verhalten Gomarras sie wieder auf meine Seite. Sie rieten mir, ihn zu fesseln; ich aber ging nicht darauf ein. Ich untersuchte, während ich ihn mit den Knien und einer Hand festhielt, seine Taschen, nahm ihm die Munition ab und zog ihn dann in die Höhe, so daß er auf die Füße zu stehen kam. Dann sagte ich ihm:
„Sie haben nach mir geschossen; ich kann Sie nicht mehr in meiner Nähe dulden. Wir sind fertig miteinander. Ihr Gewehr und Ihr Messer werden Sie zurückerhalten; die Munition aber bekommen Sie nicht wieder, damit Sie nicht auf den Gedanken kommen können, abermals auf mich zu schießen.“
Er schnappte eine Weile nach Atem, denn das Sprechen wurde ihm schwer. Ich dachte, er werde entweder wieder zu schelten anfangen oder gute Worte geben. Er tat aber keines von beiden. Sein Gesicht nahm einen trotzigen Ausdruck an, und in eben solchem Ton sagte er:
„Wovon soll ich leben, wenn ich mir nichts schießen kann!“
„Machen Sie sich an die Karawane, welche Sie bald einholen können. Dort erhalten Sie Pulver und Blei, und ehe Sie, von der Rache getrieben, hierher zurückkommen, sind wir bereits in Sicherheit vor Ihren Kugeln.“
Ich gab ihm sein Messer und seine Flinte; er nahm beides aus meinen Händen und sah mir dabei in das Gesicht. Einen Augenblick lang war es, als ob ihn eine milde Regung übermannen, als ob er ein bittendes Wort sagen wolle; aber es kam nicht über seine Lippen. Er drehte sich um und schritt, ohne ein Wort zu sagen, in der Richtung davon, die ich ihm angedeutet hatte.
Einige Minuten lang herrschte tiefes Schweigen unter uns; dann sagte Pena: „Bedauern wir ihn nicht! Er hat es nicht besser verdient. Er kann sein indianisches Blut nicht beherrschen und gehört nicht unter vernünftige Leute.“
„Haben Sie keine Sorge“, meinte der Bruder. „Der Mann kommt wieder.“
„Dieser Meinung bin auch ich. Er wird ein Stück fortreiten, um dann zurückzukehren und um Verzeihung zu bitten“, stimmte ich bei.
„Werden Sie ihn wieder aufnehmen?“ erkundigte sich der Bruder.
„Ja.“
„Ich rate Ihnen allen Ernstes davon ab. Ich kann nicht glauben, daß er von seiner Rachsucht und Mordgier lassen kann.“
„Eben deshalb nehme ich ihn wieder auf. Es ist besser, wir haben ihn unter unseren Augen, als daß er hinter unserem Rücken handelt. Beaufsichtigen wir ihn, so ist es uns viel leichter möglich, zu verhüten, daß er uns Schaden tut.“
Man gab mir recht. Wir warteten wohl noch eine Stunde, aber er kehrte nicht zurück. Wir schienen uns also getäuscht zu haben. Da wir aber seinetwegen nicht die Zeit nutzlos verschwenden wollten, so beschlossen wir, nun aufzubrechen. Wir hatten die Pferde seitwärts von uns an Büsche gebunden, von deren Zweigen sie fressen konnten. Als wir nun zu ihnen traten, sahen wir – Gomarra bei ihnen am Boden sitzen. Als er uns kommen sah, stand er von der Erde auf und sagte in bittendem Ton zu mir:
„Señor, ich habe unrecht gehandelt und bitte Sie um Verzeihung! Werden Sie mich wieder aufnehmen?“
„Damit ich abermals in Lebensgefahr gerate? Nein!“
„Es war nicht so bös gemeint!“
„Nicht so bös gemeint? Sie sind wirklich ein ganz unsinniger Mensch! Diese Ausrede könnten Sie vielleicht machen, wenn Sie das Gewehr bloß auf mich angelegt hätten, ohne aber zu schießen. Sie haben aber aus einer Entfernung von nur drei Schritten auf mich abgedrückt und trafen nur deshalb nicht, weil ich auf meiner Hut gewesen war und mich im richtigen Augenblick zur Seite warf. Hätte ich das nicht oder nur einen Moment zu spät getan, so wäre ich jetzt eine Leiche. Und das nennen Sie nicht bös gemeint? Daß es Ernst war, konnte jeder sehen, und daß Sie nicht scherzten, haben Sie bewiesen, indem Sie nach Ihrem Erwachen so wütend waren, weil Ihre Kugel mich nicht getroffen hatte. Wenn Sie auch nun noch sagen wollen, daß es nicht bös gemeint gewesen sei,
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