36 - Das Vermächtnis des Inka
kam.“
„Vielleicht irgendein Tier!“
„Nein, Señor; es war ein Mensch, denn als er sah, daß er bemerkt worden war, sprang er auf und lief davon.“
„Habt ihr ihn nicht verfolgt?“
„Wer kann das in der Finsternis, welche draußen herrscht? Der Mann ist in einem einzigen Augenblick verschwunden gewesen.“
„Qué disgusto! So müssen wir augenblicklich fort. Wer weiß, wer sich hier herumtreibt.“
„Gewiß der Vater Jaguar“, antwortete Antonio Perillo, welcher so nahe stand, daß er die Meldung des Häuptlings gehört hatte.
„Nein, dieser sicher nicht, denn wenn er es wäre, so würde er nicht zögern, über uns herzufallen, um die Gefangenen zu befreien. Aber mag es sein, wer es will; er soll uns nichts anhaben; wir führen ihn irre.“
Er trat das Feuer aus, damit es nicht zum Verräter werden möge, und erteilte noch einige leise Befehle. Einige Indianer holten die Maultiere der Gefangenen und Erschossenen zusammen, und andere nahmen die gefesselten Deutschen auf und trugen sie nach der Stelle, wo der Indianer die Tiere bewachte. Dort gab es ein kurzes Durcheinander, und dann hörte man, daß sich der Trupp entfernte, aber nicht in der Richtung der Salina del Condor, sondern in die entgegengesetzte. Der vorher so belebte Platz lag wieder still und lautlos da.
Wirklich lautlos. Doch nicht ganz, denn gar nicht weit von der Höhle, wo sie hart an die Felswand geschmiegt gelegen hatten, erhoben sich zwei Gestalten, eine sehr lange und eine kürzere, denen das lose Haar weit über den Rücken hinabhing, und der Lange sagte mit unterdrückter Stimme zu dem Kleineren: „Sie haben dich gesehen; darum sind sie fort. Wie leicht konnten sie dich ergreifen, o Herrscher!“
„Mich niemals, lieber Anciano“, antwortete Haukaropora, der Sohn des Inka. „Sie haben eine falsche Richtung eingeschlagen, um uns irrezuleiten; aber wir lassen uns nicht täuschen. Unsre Füße sind schneller als die Hufe ihrer Pferde. Sie reiten sicher nach der Salina. Laß uns ihnen dorthin voraneilen, um dem Vater Jaguar ihr Nahen zu verkünden!“
Die beiden Nachkommen der alten Peruaner verschwanden im Dunkel der Nacht. Aus ihren Worten ging hervor, daß sie von dem Vater Jaguar als Kundschafter ausgesandt worden waren, um ihm die Annäherung des Gambusino zu melden. Dieser letztere war eher als der erstere in Salta gewesen; er hatte einen Vorsprung von einem Tag gehabt; da er aber erst zu den Mojosindianern geritten war, während der Vater Jaguar mit seinen Leuten das Ziel direkt hatte aufsuchen können, so war dieser weit eher als der Gambusino an demselben angekommen. Hammer hatte sich das sehr wohl berechnet; er wußte genau, daß die Erwarteten erst später kommen konnten, und so ließ er, als er an der Mordschlucht ankam, seine Schar am Rande derselben lagern, ohne diejenigen Vorsichtsmaßregeln zu treffen, von denen er sonst gewiß nicht abgesehen hätte.
ZWANZIGSTES KAPITEL
Das Vermächtnis des Inka
Der Name Barranca del Homicidio, also Mordschlucht, war ein unheimlicher, und die Umgebung dieses Ortes, die ganze Gegend, stand im Einklang mit dem Eindruck, welchen diese Bezeichnung machte. Die Vormittagssonne verschwendete ihre Wärme an ein Bild trostloser Einsamkeit. Leblos und kahl erhoben sich im Westen die Riesen des Gebirges; öde standen rings die Felsenhöhen in der Nähe, und weder an ihren Hängen noch in den Tälern war eine Spur von Vegetation zu bemerken.
Was die Schlucht selbst betraf, so fiel sie so steil in die Tiefe hinab, daß nur Fußgänger, aber nicht Reiter, und selbst erstere nicht leicht, hinabkommen konnten. Auch hier gab es, weder an den Seiten noch auf dem Grund der Schlucht, irgendeine Art von Pflanzenwuchs, und nur am Rande derselben, da wo die Reiter abgestiegen waren, sah man einige halb aus der Erde gerissene Wurzeln, deren Stengel von früher Dagewesenen als Feuerungsmaterial benutzt worden waren. Hier oben gab es nur glatten Fels, auf welchem selbst die Hufe der Maultiere kaum eine Spur zurücklassen konnten; die Tiefe aber war angefüllt von Gesteinstrümmern, welche sich im Laufe der Zeit von den Wänden abgelöst hatten und hinuntergestürzt waren. Nicht weit von den Lagernden, vielleicht fünfzig Schritt von der Schlucht entfernt, lag ein großer Felsblock, welcher auf der der Schlucht abgewandten Seite überhing und so einen Raum zum Unterschlüpfen bildete, in welchem eine Person bequem Schutz gegen Wind und Wetter finden konnte. Der Vater Jaguar sagte zu seinem
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