36 - Das Vermächtnis des Inka
ihrer kleinen Ranchos geschlafen. Auch der Estanciero war aufgestanden. Über dem Herd brodelte in einem Kessel der Puchero, ein Gemisch von Kochfleisch, Maiskolben, Mandioca, Speck, Kohl und Rüben. Dazu gab es Mate zu trinken, von dem der Doktor aber, um sich nicht wieder zu verbrennen, nichts genoß.
Nach dem Essen ging man nach dem Kamp zu den Pferden. Der Estanciero war trotz der von Fritze erhaltenen Zurechtweisung so uneigennützig, vier seiner besten Pferde selbst auszusuchen und sie Morgenstern zum Gesamtpreis von zweihundert Mark nach deutschem Geld zu überlassen. Gegen den Chirurgen war er nicht so zuvorkommend; er schien ihm nicht hold zu sein. Dieser mußte selbst wählen und auch mehr bezahlen, obgleich seine Wahl keine für ihn günstige zu nennen war. Für das, was genossen worden war, eine Bezahlung anzubieten, wäre eine Beleidigung gewesen. Don Parmesan kaufte von einem Gaucho einen alten Sattel. Den beiden Deutschen ließ der Wirt zwei Pack- und zwei Reitsättel ab. Die letzteren waren von derjenigen Art, welche man Recado nennt und aus mehreren zusammenhängenden Teilen bestehen, die man des Nachts auseinanderschlagen und zur Herstellung des Lagers benutzen kann.
Als dies geschehen war, brachen die drei Reisenden auf.
„La en hora buena de la vuelta – Glück auf die Reise!“ rief ihnen der Estanciero nach. „Nehmen Sie sich vor den Indianern des Gran Chaco in acht, welche mit vergifteten Pfeilen schießen. Die sind weit gefährlicher als Flintenkugeln!“
Diese sehr gut gemeinte Warnung war nicht unbegründet. Die Indianer Südamerikas bedienen sich noch heut kleiner, spitzer Pfeile, welche sie aus langen Blasrohren schießen. Das dazu nötige Gift bereiten sie aus dem Saft des Strychnosbaumes und einer Lianenart, welche sie Maracure nennen. Zu diesem Saft kommen noch Pfeffer, Zwiebeln, Kockelskörner und andere, uns unbekannte Pflanzenstoffe. Er wird dick eingekocht und behält seine verderbliche Wirkung jahrelang, obgleich er frisch am schnellsten wirkt. Die kleinste Verwundung mit einem dadurch vergifteten Pfeil führt den unabänderlichen und sichern Tod von Mensch und Tier herbei, doch ist das Curare nur dann schädlich, wenn es direkt in das Blut kommt, gerade wie das Schlangengift. Die Indianer erlegen damit alle jagdbaren Tiere und verzehren dieselben, ohne Schaden davon zu haben. Der eigentlich wirksame Stoff dieses Giftes ist das Curarin, ein in der Rinde der genannten Pflanzen enthaltenes Alkaloid, welches dadurch tötet, daß es die Brustmuskeln lähmt und den Blutumlauf ins Stocken bringt. Wie stark es ist, wird dadurch bewiesen, daß ein Jaguar, von einem solchen winzigen Pfeil so leicht in die Haut getroffen, daß er es gar nicht fühlt, schon nach zwei Minuten tot zusammenbricht.
SECHSTES KAPITEL
Ein Pamparitt
Der Weg, den Doktor Morgenstern und seine beiden Gefährten verfolgten, führte zunächst gerade nach Norden, zwischen dem Rio Salado und dem Rio Saladillo hin, hinter denen dichte Waldungen lagen. Nach nicht ganz einer Stunde führte eine hölzerne Brücke über den erstgenannten Fluß, und dann erreichten die Reiter die meist von Deutschen bewohnte Kolonie Esperanza. Da sie den Vater Jaguar einholen wollten und also keine Zeit zu verlieren hatten, hielten sie hier gar nicht an, sondern jagten auf der Straße nach Córdova weiter.
Jagten! Ja, ein Jagen war es allerdings zu nennen, denn der Chirurg ritt in der hier zu Lande gebräuchlichen Schnelligkeit voran, und die beiden anderen mußten folgen. In Argentinien legt man im Postwagen in der Stunde durchschnittlich zwanzig Kilometer zurück; ein Reiter aber macht wenigstens fünf Kilometer mehr. Wie lange das Pferd aushält, wird nicht gefragt. Dem Chirurgen fiel es auch nicht ein, sich diese Frage vorzulegen. Er bedachte nicht, daß er einer Gegend entgegenritt, in welcher es keine Estancien gab, wo man Gelegenheit hat, ein abgetriebenes Pferd gegen Nachzahlung mit einem frischen zu vertauschen. Seine Sporen wühlten förmlich im Fleisch seines armen Tieres, und wenn die Deutschen ihn baten, doch weniger grausam zu sein, lachte er gefühllos auf und trieb es nur noch ärger. Er war übrigens ein guter und, wie es schien, auch ausdauernder Reiter.
Fritze Kiesewetter saß auch nicht übel zu Pferd. Er hatte hier im Land Gelegenheit gehabt, sich an den Sattel zu gewöhnen. Leider aber war dies bei dem kleinen Zoologen nicht der Fall. Zwar hatte er keine Angst vor dem Sattel verraten, jetzt aber zog er ein
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