36 - Das Vermächtnis des Inka
Gesicht, als ob sein Gaul mit ihm durch alle Wolken fliege. Er gab sich alle Mühe, im Gleichgewicht zu bleiben, und das gelang ihm auch recht leidlich, doch zeigten seine fest zusammengekniffenen Lippen, daß es ihm nicht allzu wohl dabei sei. Hätte er auf einem englischen Sattel gesessen, wäre es ihm wohl viel schwerer geworden, sich zu halten. Übrigens hatte sein Pferd einen weichen, gleichmäßigen Gang, und da man meist in Karriere ritt, wurde derselbe auf das Beste zur Geltung gebracht. Dennoch war der gelehrte Paläontologe nach einem Stundenritt hinter Esperanza schon so ermüdet, daß er sein Pferd anhielt und den beiden anderen zurief: „Halt! Mein Pferd kann nicht weiter. Die Beine tun ihm weh! Es muß Ruhe haben, was der Lateiner Tranquillitas nennt.“
„Schön!“ meinte Fritze, indem er halten blieb. „Ick bin's sehr zufrieden, wenn wir eine Viertelstunde Ferien machen. Wenn wir in so 'ne Weise weiterjagen, kommen wir bis gegen Abend drüben in China an, und so weit wollen wir doch jar nicht.“
Der Chirurg aber wollte von einem Aufenthalt nichts wissen. Er gab als Grund an: „Wir müssen heute noch bis Fort Tío kommen, und das sind wohl noch hundert Kilometer. Nur in diesem Fall können wir die Laguna Porongos bis morgen abend erreichen. Ich reite weiter!“
„In Gottes Namen!“ antwortete Morgenstern, indem er abstieg und sich ins weiche Camposgras setzte. „Wenn Sie Ihr Pferd zu Tode hetzen wollen, so tun Sie es. Wo nehmen Sie dann ein anderes her? Ein Pferd ist auch ein Geschöpf Gottes. Sehen Sie nur, wie Sie es in diesen zwei Stunden zugerichtet haben! Es blutet an beiden Seiten. Sie sind von einer fürchterlichen Grausamkeit, lateinisch Atravitas oder Crudelitas, auch Duritas oder Immanitas, sogar Saevitia genannt.“
„Was ich mit meinem Pferd tue, das ist meine Sache, denn ich bin es, der es bezahlt hat, Señor.“
„Was das betrifft, so werden wir Ihnen nicht widersprechen“, meinte Fritze, „obgleich wir behaupten könnten, daß der Umstand, daß Sie es bezahlten, Ihnen noch nicht das Recht gibt, es zu martern. Wir quälen unsere Pferde nicht, sondern gönnen ihnen und uns die nötige Ruhe. Wir können Sie, wenn Sie partout weiterwollen, nicht halten.“
Er setzte sich neben seinen Herrn nieder. Der Chirurg brummte einige unwillige Bemerkungen in den Bart, hielt es aber doch für besser, sich zu fügen, anstatt weiter zu reiten. Schon nach einer halben Stunde aber drängte er wieder zum Aufbruch, und die beiden anderen taten nach seinem Willen, nachdem sie vorher den ihrigen durchgesetzt gehabt hatten.
Der weite Campo, durch den sie ritten, war vollständig eben und nur mit Gras bewachsen. Nirgends zeigte sich ein Strauch oder gar ein Baum; Wälder und Buschwerk findet man nur da, wo es Wasser gibt. Als sie eine Weile geritten waren, vernahmen sie einen wüsten Lärm hinter sich. Sich nach demselben umdrehend, gewahrten sie, daß die Diligence, welcher die Post- und Passagierverbindung zwischen Santa Fé und Córdova oblag, ihnen folgte.
Eine solche Diligencereise ist etwas ganz anderes als eine Fahrt mit einer ehrbaren deutschen Postkutsche. Der Unterschied zwischen beiden ist dem Kontrast zwischen einem linden Mailüftchen und einem rasenden Pamperosturm zu vergleichen. Man spricht oder sprach zwar auch in den La-Plata-Staaten von Straßen; aber bei diesem Wort darf man nicht etwa an chaussierte Wege, welche von Baumreihen eingesäumt werden, denken. Landstraßen oder gut und regelmäßig unterhaltene Wege gibt es dort nicht, da das Material zum Bau derselben vollständig mangelt. Holz ist selten, und Stein findet man gar nirgends. Ein jeder reitet oder fährt in der Richtung, welche ihn zum Ziel bringt, ganz gleich, ob dabei einen oder einige Kilometer weit nach rechts oder links abgewichen wird.
Das, was man Straße nennt, besteht aus einer mehr oder weniger breiten Reihe von Spuren und Geleisen, welche in beliebiger Art und Weise über die Pampas führen. Bald hat man einem Bodeneinschnitt zu folgen, bald einen Sumpftümpel zu umgehen oder einen jener kleinen, aber steilufrigen Flüsse zu durchqueren, welche hie und da vorkommen, um ohne alle Verbindung mit einem größeren Strom oder Fluß in der Pampa nach und nach zu verlaufen.
Genauso mangelhaft wie diese Straßen sind auch die Stationen, an denen die Pferde gewechselt werden, meist armselige Ranchos, in welchen der Reisende nicht eine Spur von jenen Bequemlichkeiten findet, auf welche bei uns jeder
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