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36 - Das Vermächtnis des Inka

36 - Das Vermächtnis des Inka

Titel: 36 - Das Vermächtnis des Inka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Passagier Anspruch machen zu müssen glaubt.
    Und die Postwagen erst! Diese Fahrzeuge scheinen aus einer Zeit zu stammen, in welcher der Mensch mit dem Höhlenbären auf du und du verkehrte. Sie sind so roh gearbeitet und von so unbehilflicher Form, daß ihr Anblick einem zivilisierten Reisenden, der gezwungen ist, sich ihrer zu bedienen, Grauen einflößt. Das Innere derselben faßt gewöhnlich acht Menschen, während nach unseren Begriffen nur vier Platz hätten. Und dazu müssen diese acht all ihr Reisegepäck bei sich haben. Draußen, hinter dem Kutscher oder Mayoral, gibt es noch zwei Plätze. Das Verdeck wird mit Poststücken und anderen Dingen so hoch beladen, daß man glaubt, die Diligence könne unmöglich im Gleichgewicht bleiben und müsse schon bei den ersten Schritten der Pferde umstürzen. Und doch kommt es vor, daß überzählige Reisende noch da oben auf diesem Turmbau Platz nehmen.
    Zu dieser Kutsche gehören acht Pferde. Vier sind vor den Wagen nebeneinander gespannt, vor ihnen zwei und vor diesen eins, auf welchem der Vorreiter sitzt. Auf dem achten ‚Rößli‘ sitzt ein Peon, welcher nebenher reitet und die Aufgabe hat, die Pferde anzutreiben und etwa herab- oder herausfallende Gegenstände aufzulesen.
    Die Geschirre sind im höchsten Grad primitiv. Jedes Zugpferd bekommt einen Ledergurt um den Leib geschnallt, an welchem ein Lasso befestigt ist, mit dem es an dem Wagen hängt.
    Der Mayoral hat einen spitzen Stock, mit dem er die hinteren Pferde anstachelt, und eine lange Peitsche, mit welcher er die vorderen Tiere erreichen kann. Auch der Vorreiter und der Peon sind im Besitz von je einer Peitsche, so daß also an Mitteln, den Pferden ‚gütlich‘ zuzureden, kein Mangel ist. Oft sitzt auf einem der beiden Mittelpferde noch ein Gaucho, welcher natürlich auch mit einer Peitsche versehen ist.
    Diese vier Bediensteten der Diligence haben, mit unseren Postillionen verglichen, das Aussehen von Räubern, denen man sein Eigentum und Leben für keinen Augenblick anvertrauen möchte, sind aber brave und ehrliche Leute, die ihr Fach verstehen und ihren Verpflichtungen in einer Weise nachkommen, daß einem Hören und Sehen vergehen möchte.
    Nehmen wir an, die Kutsche ist beladen und die Passagiere sind eingestiegen. Sie haben sich nach Möglichkeit zurechtgesetzt und sind überzeugt, daß die Fahrt nun beginnen werde. Sie beginnt auch, denn der Mayoral stößt ein tigerartiges Gebrüll aus und stößt den hintern Pferden die Spitze seines Stockes in die offenen Wunden, welche von früher zurückgeblieben sind, und handhabt zu gleicher Zeit die Peitsche, als ob er die vorderen Pferde erschlagen wolle. Der Mittelreiter, der Vorreiter und der Peon brüllen ebenso und hauen mit ihren Peitschen auf die Tiere ein. Diese springen an; der schwerfällige Wagen tut einen Ruck nach vorn, neigt sich nach rechts, nach links und wird dann von den gepeitschten Pferden vorwärts gerissen. Die Passagiere stoßen bei dem gewaltigen Ruck die Köpfe zusammen und verlieren ihre Hüte; ihr Gepäck rollt ihnen auf den Schoß oder zwischen die Beine; sie strecken die Arme aus, um sich gegenseitig aneinander festzuhalten; der eine erfaßt den anderen beim Bart und dieser ihn an der Uhrkette.
    „Was wollen Sie mit meinem Bart, Señor?“ fragt dieser.
    „Und was haben Sie mit meiner Kette?“ fragt jener.
    „Es geschah ohne Absicht. Entschuldigen, Euer Gnaden!“
    „Bitte ebenso um Verzeihung, Señor. Ich hatte wirklich keine Absicht auf Ihren Bart.“
    Die Diligence fliegt aus der Station hinaus. Da tut es hinten einen Krach.
    „Anhalten, anhalten!“ schreit der Peon. „Bei San Jago, Mayoral, wir müssen halten!“
    Dieser zügelt die Pferde und brüllt: „Was geht mich dein San Jago an! Ich habe zu fahren, nicht aber zu beten. Was störst du mich?“
    „Es ist eine Kiste heruntergefallen. Da hinten liegt sie.“
    „So hole sie, und wirf sie wieder hinauf!“
    „Sie scheint zerbrochen zu sein.“
    „Kann ich dafür? Warum nimmt man kein stärkeres Holz zu diesen Kisten. Was ist denn drin?“
    „Werde nachsehen.“
    Er steigt ab und bringt die Kiste herbei. Der Deckel ist losgesprungen. Auf demselben ist die Adresse eines Professors an der Universität von Córdova zu lesen. Die Kiste enthält Flaschen, von denen einige zerbrochen sind. Eine rote Flüssigkeit tropft heraus und duftet angenehm in die Nase des Peons.
    „Bei meiner Seligkeit, es ist Rotwein!“ ruft er aus. „Vier Flaschen sind zerbrochen,

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