37 - Satan und Ischariot I
sich, um ihre weniger schwierige als unangenehme Mission auszuführen. Der ‚Große Mund‘ hockte auf die Erde nieder, und auf einen Wink von mir nahmen die zwei Wächter zu beiden Seiten Platz, um ihn nicht aus ihren Augen zu lassen.
Ich sah nach der Uhr, denn es war meine Absicht, nach Verlauf der halben Stunde, falls wir noch keinen Bescheid erhalten haben sollten, erst einige Schreckschüsse abgeben und dann scharf schießen zu lassen.
Die Boten erreichten, wie wir sahen, das Lager und weckten die Schläfer. Es entstand zunächst ein kurzes Durcheinander; dann gruppierten sich die Yumas in einem engen Kreis um unsere Abgesandten, worauf nach einer kleinen Weile ein wütendes Geschrei oder vielmehr Geheul erscholl. Die Boten hatten ihren Auftrag ausgerichtet; er hatte die Wirkung, welche zunächst zu erwarten gewesen war, nämlich eine ungeheure Aufregung, welche den einzigen bedenklichen Moment für uns bildete. Ging sie vorüber, ohne daß die Yumas sich zu unbesonnenen Feindseligkeiten hinreißen ließen, so war uns der Erfolg gesichert.
Ich war mit Winnetou und dem Häuptling der Mimbrenjos eine kleine Strecke von dem ‚Großen Mund‘ weggegangen, damit dieser nicht hören könne, was zwischen uns gesprochen wurde. Als sich der wütende Lärm im feindlichen Lager erhob, sagte der ‚Starke Büffel‘:
„Jetzt werden sie auf uns eindringen. Man hört es ihrem Geschrei an. Aber wir werden sie empfangen.“
„Das ist nur für den Augenblick. Wenn sie erfahren, daß sie vollständig umzingelt sind, werden sie besonnener werden“, antwortete ich.
„Das glaube ich schwer. Old Shatterhand muß alles bedenken; er darf nichts vergessen.“
„Was könnte ich denn vergessen haben?“
„Daß die Yumas sich bisher sicher fühlten. Sie schliefen in dem Gedenken ein, daß sie uns mit Tagesanbruch überfallen und vernichten würden. Jetzt, da sie erwachen und noch schlaftrunken sind, erfahren sie das Gegenteil, daß sie umzingelt sind und sich ergeben sollen. Da ist es fast gewiß, daß sie in der Aufregung die Unbesonnenheit begehen, zu den Waffen zu greifen.“
„Sie werden schnell zur Besinnung kommen, denn ich habe ihnen eine Botschaft gesandt, welche sie schnell beruhigen und mit Hoffnung erfüllen wird.“
„Sie haben keine Hoffnung; sie müssen alle sterben. Hast du ihnen vielleicht Hoffnung auf Freiheit gemacht?“
„Ja.“
„Ihnen allen und auch ihrem Häuptling?“
„Diesem ganz besonders.“
„Bist du toll! Meine Zustimmung bekommst du nie dazu!“
„Die brauche ich nicht.“
„Wieso? Hast du etwa allein zu befehlen? Hat Winnetou und habe ich nicht auch etwas zu sagen?“
Er war wieder einmal zornig, was bei ihm öfters geschah. Ich antwortete ihm in aller Gemütlichkeit:
„Ja, auch ihr habt mitzubestimmen; aber ich habe versprochen, diesmal nicht auf euch zu horchen. Ja, ich habe noch viel, viel mehr versprochen.“
„Noch mehr! Was?“
„Den ‚Großen Mund‘ und alle seine Leute heimlich zu befreien, indem ich ihre Fesseln durchschneide.“
„Das, das hast du versprochen, das?!“ fuhr er mich wütend an. „Wie konntest du wagen, dies zu tun! Wie konntest du ohne unsere Zustimmung – – –“
Er kam nicht weiter, denn Winnetou ergriff ihn so fest beim Arm, daß er vor Schmerz die Rede vergaß, und ermahnte ihn:
„Warum schreit mein roter Bruder wie ein altes Weib, welchem die Zähne schmerzen! Soll der ‚Große Mund‘ hören, was wir sprechen? Hat er jemals vernommen, daß Old Shatterhand ohne Überlegung handelt? Wenn er ein gutes Versprechen gegeben hat, so wird er es halten; ist es aber ein schlechtes, so hat er es gegeben, weil er weiß, daß er es nicht zu halten braucht.“
„Aber Old Shatterhand pflegt jedes Versprechen zu halten!“
„Wenn die Bedingungen erfüllt werden, unter denen er es gegeben hat.“
„So! Bedingungen!“ brummte der noch immer zornige Häuptling. Und dann fuhr er mich bissig an: „Behalte deine Bedingungen für dich; ich mag sie nicht wissen!“
Damit wendete er sich von uns ab und warf sich in ziemlicher Entfernung von uns ins Gras nieder. Über Winnetous Züge glitt ein Lächeln, doch sagte er nichts. Ich glaubte ihm eine Mitteilung schuldig zu sein und bemerkte:
„Ich habe das Versprechen gegeben, weil ich ganz genau wußte – – –“
„Pshaw!“ unterbrach er mich. „Was Old Shatterhand tut, ist gut; er hat nicht nötig, sich bei mir zu entschuldigen. Ich weiß, daß er den Yuma betrügen wird, weil
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