37 - Satan und Ischariot I
Sie wurden einem ehrlichen Mimbrenjo in Aufbewahrung gegeben.
Dann wurde gegessen, das erste Mal am heutigen Tag. Jeder wurde satt, da beide Teile Proviant Vorräte mitgebracht hatten. Da wir während der Nacht nicht geschlafen hatten, wurde beschlossen, während der heißen Mittagsstunden zu schlafen. Gegen Abend sollte aufgebrochen werden. Wohin, das verstand sich ganz von selbst, nämlich nach dem Ort, an welchem die zurückgelassenen Yumas mit den Verwundeten und den geraubten Herden lagerten. Die ersteren sollten gefangengenommen und die letzteren dem Haziendero zurückgebracht werden.
Bei der Verteilung der Waffen ging es ziemlich lebhaft her. Jeder wollte das Beste haben, womöglich eine Flinte, aber nur nicht Pfeil und Bogen, und da die Gewehre der Yumas nicht viel taugten, so gab es oft Zank und Streit, zu dessen Schlichtung es oft eines Machtwortes bedurfte. Der Kreis, welchen unsere Krieger gebildet hatten, war natürlich längst aufgelöst worden. Wir lagerten am Waldrand im Schatten, und wer nicht wachen mußte, der schlief, um Kräfte für den weiten Ritt zu sammeln, denn es sollte nicht eher als am Ziel angehalten werden. Bei der großen Zahl unserer Gefangenen hatten zehn Mann zu wachen; weniger wären zuwenig gewesen. Sie wurden jede Stunde abgelöst. Die zehn wurden wieder abwechselnd von Winnetou, dem ‚Starken Büffel‘ und mir beaufsichtigt, die wir einander auch allstündlich ablösten.
Ich hatte die erste Wache gehabt und wurde von Winnetou abgelöst. Als mich dann der Häuptling der Mimbrenjos weckte, fühlte ich mich fast müder als vorher und stand, um nicht etwa wieder einzuschlafen, auf, um mir Bewegung zu machen. Die zehn Posten, welche an der Reihe waren, patrouillierten auf und ab und hatten die Gefangenen so scharf im Auge, daß gewiß keiner von diesen etwas Verdächtiges auszuführen vermochte. Man hatte dem ‚Großen Mund‘, weil er Häuptling war, einen etwas zur Seite liegenden Platz gegeben, wo er bewegungslos lag und zu schlafen schien; als ich aber das zweite Mal an ihm vorüberging, öffnete er die Augen und nannte meinen Namen. Ich trat zu ihm und fragte, welchen Wunsch er habe. Er zeigte mir ein sehr erstauntes Gesicht und antwortete:
„Welchen Wunsch? Kann Old Shatterhand wirklich diese Frage aussprechen? Es gibt nur einen Wunsch, den ich haben kann – die Freiheit!“
„Das glaube ich dir. Ich hatte ihn auch, als ich dein Gefangener war.“
„Du hast sie erlangt. Wann werde ich sie bekommen? Noch heute?“
„Noch heute?“ fragte ich erstaunt. „Du hast geschlafen und träumst wohl noch!“
„Ich träume nicht. Nur zehn Krieger wachen außer dir. Wehrt es dir jemand, meine Fesseln zu zerschneiden? Tue es, so springe ich aufs nächste Pferd, galoppiere davon und bin verschwunden, ehe es einem einfällt, mir zu folgen.“
Das war ein grandioses Verlangen, eine Zumutung, über welche ein anderer vor Verwunderung oder auch Zorn hätte außer sich geraten können; mir aber kam es so komisch vor, daß ich in ein so lautes Gelächter ausbrach, daß mehrere Schläfer erwachten und alle Posten zu mir herblickten.
„Was lachst du so?“ sagte er zornig. „Glaubst du, ich treibe Scherz?“
„Das möchte ich allerdings annehmen. Jetzt, am hellen Tage, wo alle sehen würden, daß ich es bin, soll ich dich befreien?“
„Was schadet es dir? Kein Mensch würde es wagen, dich dafür zu bestrafen. Du hast es mir versprochen!“
„Ich versprach, dich und deine Krieger zu befreien, nicht dich allein. Du wirst nur mit ihnen freikommen.“
„So schaff so schnell wie möglich die Gelegenheit dazu! Du bist es uns schuldig, dein Versprechen zu halten.“
„Gewiß! Aber wie steht es denn mit dem deinigen?“
„Ich halte es, wenn du das deinige erfüllt hast.“
„Du meinst gewiß, daß dies sehr klug von dir ausgesonnen sei, wirst aber da die Freiheit nicht wiedersehen. Ich laß dich nicht eher frei, als bis du mir meine Frage beantwortet hast.“
„Und ich beantworte sie dir nur als freier Mann!“
Schon öffnete ich die Lippen zum abermaligen Lachen, wurde aber augenblicklich wieder ernst, denn der ‚Starke Büffel‘, welcher in der Nähe lag und den ich schlafend glaubte, sprang in diesem Augenblick auf und rief, indem er sein grimmigstes Gesicht zeigt, mir die Worte zu:
„Hat Old Shatterhand wohl Zeit, mir eine Frage zu beantworten?“
„Ja“, nickte ich.
„So mag er mit mir kommen, um sie zu hören!“
Ich ging zu ihm. Er führte mich eine
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