37 - Satan und Ischariot I
„Sogleich wird ein Schuß fallen und ihn niederstrecken!“
„Nein“, entgegnete ich. „Er wird nicht getötet werden.“
„So meinst du, daß man ihn hindurchlassen wird?“
„Man wird ihn gefangennehmen, wie ich dich gefangengenommen habe.“
„So wird er sich wehren und Lärm machen!“
„Dazu kommt er nicht. Du weißt doch, wo Winnetou steht. Der Yuma muß nahe an ihm vorbei, wenn er seine jetzige Richtung beibehält, und der Apache wird ihn so von hinten nehmen, wie ich es mit dir gemacht habe. Paß auf!“
Es geschah so, wie ich gesagt hatte. Der Yuma ging unbefangen weiter; dann sahen wir hinter ihm den Apachen blitzschnell auftauchen; ebenso schnell waren beide verschwunden; sie lagen im Gras, wo wir sie nicht sehen konnten. Kurze Zeit später aber erhob sich Winnetou wieder; er hatte den Yuma gepackt und verschwand mit ihm unter den Bäumen.
„Er hat ihn, er hat ihn überwältigt!“ zürnte der ‚Große Mund‘.
„Und zwar ganz im stillen, ohne daß deine Leute etwas bemerkt haben! Du siehst, wie vortrefflich auf unserer Seite gearbeitet wird. Und doch wäre es mir lieber, wenn der Mann Zeit gefunden hätte, Lärm zu machen.“
„Warum?“
„Weil wir uns dann jetzt schon in der Entscheidung befänden. Wozu das lange Harren und Warten! Ich werde das Zeichen zum Angriff geben.“
Ich hielt zwei Finger an den Mund, als ob ich pfeifen wolle; da bat er rasch, so rasch er nur konnte:
„Halt! Tu es noch nicht! Warte noch ein wenig!“
„Wozu? Das Verhängnis ist doch nicht von euch abzuwenden.“
„Vielleicht doch! Du hast ja selbst davon gesprochen, als wir uns unterwegs zu den Mimbrenjos befanden.“
„Ich entsinne mich nicht.“
Ich stellte mich natürlich nur so, um seine Besorgnis zu steigern. Er fuhr dringend fort:
„Du kannst es doch nicht vergessen haben; du mußt dich darauf besinnen!“
„Was hätte ich denn gesagt?“
„Du verlangtest die Wahrheit von mir!“
„Die Wahrheit? Ah so! Aber wenn ich sie finde, so kann das niemand retten, weil du das nicht tun wirst, was ich von dir verlange.“
„Was ist das?“
„Deine Krieger auffordern, die Waffen zu strecken und sich zu ergeben.“
Er blickte beschämt zu Boden. Ich steigerte mit Absicht seine Verlegenheit, in dem ich hinzufügte:
„Es wurde dir ins Gesicht behauptet, daß du schon beim Morgengrauen dazu bereit sein würdest; du aber verlachtest uns. Jetzt graut der Tag noch nicht und schon hat dein Sinn sich geändert. Darum kann ich an diese Änderung unmöglich glauben; ich traue dir nicht; ich vermute eine List dahinter und werde das Zeichen geben; der Kampf mag beginnen.“
„Warte noch, warte noch und höre, was ich dir zu sagen habe!“
„So sprich, aber schnell! Ich habe keine Lust, die Zeit unnütz zu verschwenden.“
„Ist die Möglichkeit vorhanden, daß meine Krieger geschont werden und, wenn sie sich gefangengeben, die Freiheit wiedererlangen?“
„Ich sage nur: vielleicht.“
„Und daß auch ich mein Leben behalte und wieder freigelassen werde?“
„Das ist weit schwieriger. Deine Leute sind weniger schuldig als du. Deine Missetaten sind so groß und schwer, daß es eines ganz außergewöhnlichen Grundes bedürfte, deine Rettung zu ermöglichen. Der ‚Starke Büffel‘ aber wird dich auf keinen Fall und aus keiner Ursache begnadigen. An ihn dürftest du dich nicht wenden.“
„Aber an dich und Winnetou?“
„Immer nur vielleicht.“
„Vielleicht und nur vielleicht! Mach es kurz, und spanne mich nicht auf die Folter! Wenn du das Wort ‚vielleicht‘ aussprichst, mußt du doch eine Möglichkeit im Sinn haben!“
„Das ist freilich wahr. Ich will ganz genau und der strengen Wahrheit gemäß wissen, wie du mit den beiden Bleichgesichtern, welche Melton und Weller heißen, bekannt geworden bist, warum du auf ihre Veranlassung hin die Hazienda del Arroyo überfallen hast und welche Absichten sie in Beziehung auf die weißen Auswanderer verfolgen. Bist du bereit, mir dies alles zusagen?“
„Bist du bereit, mich dafür zu retten?“
„Wenn es mir möglich ist, ja.“
„So werde ich dir sagen, was du wissen willst.“
„Gut! Ich werde dir also jetzt meine Fragen vorlegen, welche du mir streng der Wahrheit gemäß zu beantworten hast, und dann – – –“
„Jetzt nicht, jetzt nicht!“ fiel er mir eifrig in die Rede. „Jetzt ist keine Zeit dazu. Erwacht wieder einer meiner Krieger, so steht nicht zu erwarten, daß er wieder so ruhig ergriffen wird. Wenn er Lärm
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