37 - Satan und Ischariot I
schwebten bald auf und nieder, bald zogen sie Kreise.
„Uff, das sind Geier!“ rief er aus. „Sie halten sich oberhalb einer gewissen Stelle; sie haben also ein Aas unter sich liegen.“
„Nein, kein Aas. Auf ein Aas stoßen die Geier sofort nieder. Diese aber tun das nicht; sie bleiben oben schweben, folglich lebt das Wesen noch, welches sie sich als Beute ausersehen haben.“
Als wir näher kamen, sahen wir noch andere Geier, diese Gesundheitspolizisten der Natur. Sie bildeten, am Boden sitzend, einen Kreis, in dessen Mitte ein Körper lag, welcher, wie wir sahen, als wir näher kamen, ein menschlicher war.
„Ein Mensch!“ rief der Mimbrenjo aus. „Ein Ermordeter, eine Leiche!“
„Keine Leiche! Wäre er tot, so hätten sich die Geier längst über ihn hergemacht. Er muß sich vor kurzem noch bewegt haben.“
Die Vögel flogen, noch ehe wir die Stelle erreichten, auf. Bei dem Verunglückten angekommen, hielten wir an und sprangen ab.
„Gütiger Himmel!“ rief ich aus, als ich den ersten Blick auf ihn geworfen hatte. „Ist das möglich! Es ist einer von denen, die wir retten wollen“, fuhr ich fort, indem ich niederkniete, um den Bedauernswerten zu untersuchen.
Es war der Herkules. Und wie sah er aus! Sein Anzug war zerfetzt, entweder im Kampf oder aus anderen Ursachen. Er hatte einen Hieb auf den Kopf bekommen; sein Schädel war angeschwollen bis weit in die Stirn herein und sah blutig rot aus. Ob der Knochen zerschmettert war, konnte ich nicht sehen. Sonst bemerkte ich glücklicherweise keine Wunde. Als ich den Kopf zu untersuchen begann, verursachten meine Berührungen Schmerzen, denn der Herkules brüllt laut und bäumte den Oberkörper auf. Sobald ich die Hände von der Wunde ließ, fiel er zurück und war still.
„Wir müssen zurück“, sagte ich. „Hier ist nichts zu machen. Wir müssen vor allen Dingen Wasser haben.“
„Aber, wenn er unterwegs stirbt?“
„So dient es zu unserer Beruhigung, daß er hier auch gestorben wäre. Ich nehme ihn zu mir aufs Pferd.“
„Diesen großen, schweren Mann?“
„Es muß gehen, denn anders ist er nicht zu transportieren.“
Es war wahr; den Goliath zu mir quer über den Sattel zu bringen, verursachte uns eine Anstrengung, welche den Verwundeten natürlich auch angriff. Er brüllte vor Schmerz, kam dabei aber nicht zum Bewußtsein. Endlich hatte ich ihn oben, und dann ging es fort, zurück, doch nicht auf demselben Weg, den wir gekommen waren, denn das wäre ein Umweg gewesen, da unser Zug sich inzwischen fortbewegt hatte. Er ging nach Osten; wir waren nach Norden geritten und mußten also in der Diagonale nach Südosten zurückkehren.
Mein Pferd hatte eine schwere Last zu tragen, war aber stark genug, trotz derselben Galopp zu gehen. Ich mußte galoppieren, weil diese Gangart die steteste ist und den Verwundeten am wenigsten angriff. Er war still und lag wie tot quer vor mir. Als wir unseren Zug erreichten, gingen nicht nur die Kräfte meines Pferdes, sondern auch die meinigen fast zu Ende.
Natürlich erregte die Last, welche wir mitbrachten, Aufsehen. Man rief und schrie durcheinander und drängte sich herbei, den Verletzten zu betrachten. Winnetou war, wie gewöhnlich, ruhig. Er wies die Neugierigen streng zurück, half die Last mir abnehmen und untersuchte dann den Schädel. Es war nicht nötig, ihm dabei zu helfen, denn der Apache verstand sich auf Verwundungen wie kein anderer.
„Der Knochen ist nicht zerschmettert“, erklärte er nach einiger Zeit. „Der Mann wird leben bleiben, wenn er das Fieber überwindet. Man gebe mir Wasser!“
Die Fuhrleute hatten aus Rücksicht für ihre Maultiere volle Eimer unter ihren Wagen hängen, so daß dem Verlangen Winnetous nachgekommen werden konnte. Der Indianer besaß eine so zarte Hand, daß der Verwundete unter der Berührung derselben nicht ein einziges Mal erwachte. Nachdem er gekühlt und verbunden worden war, wurde ihm in einem der Wagen ein Lager hergerichtet. Dann setzte sich der Zug wieder in Bewegung.
Wer erwartet hätte, daß Winnetou, als wir wieder nebeneinander ritten, mich nach dem Herkules fragen würde, der hätte sich geirrt. Er blickte sinnend vor sich nieder. Ich kannte das Gesicht, welches er dabei machte. Er bemühte sich, ohne meine Hilfe auf die richtige Fährte zu kommen. Nach einer Weile hob er den Kopf; der halbbefriedigte Blick, den er dabei zu mir herübergleiten ließ, sagte mir, daß er mit sich im reinen sei. Darum fragte ich nun:
„Mein roter Bruder hat
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