38 - Satan und Ischariot II
Bald waren sie uns so nahe, daß ich ihre Gesichter erkennen konnte. Der Mimbrenjo schritt voran. Er hatte uns gesehen, ging aber ruhig weiter, ohne Vorsichtsmaßregeln zu treffen, denn sein scharfes Auge hatte mich erkannt. Melton hatte ihn bei mir gesehen, und so wunderte ich mich darüber, daß es ihm nicht eingefallen war, nach ihm zu fragen. Daß der Indianer sich nicht bei mir befand, hätte doch seine Aufmerksamkeit erregen müssen, da die Abwesenheit desselben einen Grund haben mußte.
Nun waren sie uns so nahe, daß wir ihre Schritte hörten. Melton horchte auf, richtete sich dann rasch empor, so daß er zu sitzen kam, und drehte sich um. Im nächsten Augenblick sprang er ganz auf, starrte die Nahenden an, als ob sie Gespenster seien, und rief aus:
„Alle Wetter, was sehe ich; wer kommt da?“
„Eure Yumas, die Euch befreien werden“, antwortete ich. „Hoffentlich freut Ihr Euch, daß Eure Erwartung sich so schön und so bald erfüllt.“
„Verwünschter Kerl! Du stehst wirklich mit dem Teufel im Bund!“
Indem er mir diese Worte entgegenzischte, versetzte er mir einen Fußtritt und rannte so schnell davon, wie es ihm mit gebundenen Händen möglich war. Der Fluchtversuch war lächerlich; ich stand ruhig auf und tat keinen Schritt, ihn zu verfolgen. Selbst wenn ich ihm hätte nachlaufen wollen, wäre dies gar nicht nötig gewesen, denn als die Befreiten, welche sich uns bis auf vierzig oder fünfzig Schritte genähert hatten, ihn erkannten und davonlaufen sahen, erhoben sie ein lautes Geschrei und rannten hinter ihm her, Männer, Frauen und Kinder; nur der Mimbrenjo blieb stehen und rief mir lachend zu:
„Der Vogel wird nicht weit kommen, denn die Flügel sind ihm gebunden.“
Den Verfolgern voran waren Judith und die ‚Listige Schlange‘. Die erstere war nicht eingekerkert gewesen, hatte keine Not gelitten und besaß also mehr Kräfte wie die anderen. Ganz dasselbe war mit dem Häuptling der Fall. Zwar waren auch ihm die Hände gebunden, doch half der Grimm, welcher sich seiner beim Anblick Meltons bemächtigte, ihm, diesen Umstand überwinden. Er flog ihm förmlich nach und kam ihm näher und näher, bis er ihn erreicht hatte; dann eilte er absichtlich einige Schritte über ihn hinaus, machte eine Wendung und rannte dann mit solcher Kraft gegen ihn, daß Melton zu Boden stürzte und sich zweimal überschlug. Er kam gar nicht zu dem Versuch, sich aufzurichten, denn der Häuptling lag schon auf ihm und hielt ihn trotz seiner gefesselten Hände bei der Kehle. Sie rangen miteinander und wälzten sich dabei einigemal um und um, bis Judith kam und dem Roten half. Die Jüdin befand sich in einer Aufregung, welche allerdings nicht weiblich war. Sie schrie in einem fort und schlug dabei mit geballten Händen auf Melton ein, bis die anderen kamen, denen sie Platz machen mußte. Nun gab es einen Knäuel von schreienden Menschen, welche Melton in der Mitte hatten. Ich fürchtete für sein Leben und eilte darum hin, um den Mißhandlungen Einhalt zu tun. Als ich mir durch die Leute Bahn gebrochen hatte, sah ich Melton an der Erde liegen; mehrere hielten ihn fest, und Judith bearbeitete mit Fäusten und Nägeln sein Gesicht in einer Weise, daß ich sie, empört über dieses mehr als häßliche Verhalten, wegriß und ihr zornig zurief:
„Was fällt Ihnen ein! Überlassen Sie den Menschen uns Männern! Sie sind ja gerade zur Furie geworden.“
„Der Halunke hat es verdient, daß ich ihm die Augen auskratze!“ keuchte sie atemlos. „Er hat mich betrogen, mich eingesperrt. Ich sollte da unten im Schacht verderben und sterben!“
Sie wollte wieder zu ihm hin; ich schleuderte sie aber fort und sagte, mich zu den anderen wendend:
„Daß keiner von euch sich weiter an ihm vergreift! Er gehört jetzt mir und wird seiner Bestrafung nicht entgegen. Wer nicht gehorcht, bekommt es mit mir zu tun!“
Sie wichen zurück, und ich richtete Melton vom Boden auf. Von seinem äußeren Aussehen nicht zu sprechen, befand er sich in einem Seelenzustand, der ihn fast nicht mehr als Mensch erscheinen ließ. Er schrie wie ein Tier; seine Augen waren mit Blut unterlaufen, und seine geifernden Lippen brachten die Flüche und Verwünschungen, welche er mir entgegenwarf, nur undeutlich hervor. Es war das Lallen der größten Wut, des Grimmes in seinem höchsten Grad. Ich machte diesem Wüten dadurch ein Ende, daß ich ihm einen Knebel in den Mund stecken ließ. Er drohte zwar, zu ersticken, doch brachte die Angst, die ihm
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