38 - Satan und Ischariot II
Stimme:
„Er hat den Biber getötet und bringt ihn nach dem Ufer, um ihm dort den Skalp zu nehmen, was im Wasser sehr schwer sein würde. Haltet die Waffen bereit! Ich fürchte, daß die Yumas ihren Grimm nicht zu zähmen vermögen und losbrechen werden.“
Da kam der Knabe wieder unter den Büschen hervor und zu uns herübergeschwommen, erreichte das Land und stieg heraus.
„Halt!“ schrie drüben der ‚Große Mund‘. „Nur der Sieger darf heraus, und der andere muß tot sein!“
Da schwang der Knabe das Messer, welches er in der rechten und den Skalp, den er in der linken Hand gehalten hatte, und rief antwortend:
„Der ‚Große Mund‘ mag sich den Biber ansehen, der dort im Busch liegt, ob er noch lebe. Hier ist die Haut seines Schädels, die ich ihm genommen habe!“
Der kleine Sieger wurde von den Seinigen begrüßt. Er hatte nicht die geringste Verletzung oder gar Wunde. Die Yumas aber wußten sich vor Wut nicht zu fassen. Sie brüllten wie die wilden Tiere und rannten vom Wasser, an welchem sie gestanden hatten, weg, um ihre Waffen zu holen. Ich rannte auch, nämlich am Ufer hin zu Winnetou, der noch bei dem ‚Großen Mund‘ stand und die scharfen Augen offenhielt.
„Deine Krieger laufen zu den Waffen“, sagte ich. „Verbiete es ihnen!“
„Das fällt mir nicht ein!“ antwortete er finster, indem er mit der Hand in den Gürtel nach der Pistole griff.
„Wenn ein einziger Schuß oder Hieb von ihnen fällt, seid ihr verloren!“
„Wollen sehen! Wir zählen ebenso viele Krieger wie ihr.“
„Nein. Komm und sieh.“
Ich nahm ihn beim Arm und riß ihn zwischen den Büschen und Bäumen hindurch hinaus ins Freie, wo jetzt, am hellen Morgen, der Ring der Mimbrenjokrieger, welcher den See umschlossen hielt, deutlich zu sehen war.
„Was ist das! Wer sind die Leute?“ fragte er erschrocken.
„Es ist der ‚Starke Büffel‘ mit seinen Hunderten von Kriegern. Während wir euch am Wasser haben, halten sie euch von außen eingeschlossen. Siehst du nicht ein, daß der Kampf euch den Untergang bringen muß? Sei klug! Hörst du deine Leute heulen? In einer Minute ist's vielleicht schon zu spät!“
Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als ob er seine Gedanken mit Gewalt zusammenstreichen müsse, und fragte:
„Gibt es für uns Gnade oder den Marterpfahl?“
„Gnade.“
„Ich vertraue dir. Komm schnell!“
Wir rannten durch das Gebüsch dem Wasser wieder zu, und es war hohe Zeit, daß wir kamen, denn die Yumas standen am oberen Teil des Sees zum Angriff bereit, der nur deshalb unterblieben war, weil sie ihren Häuptling nicht gesehen hatten. Er eilte zu ihnen hin, um sie über die Lage der Dinge aufzuklären, und ich schickte den ‚Starken Büffel‘ hinaus, seinen Leuten zu sagen, daß die Entscheidung jetzt auf einem Augenblick stehe. Sie hatten bisher am Boden gelegen oder gekauert, standen nun aber auf und boten so einen weit mehr einschüchternden Anblick als vorher.
Der ‚Große Mund‘ mußte seine ganze Redekunst aufwenden, um seine Leute vom Losbruch zurückzuhalten. Sie ergaben sich erst dann in ihr Schicksal, als sie selbst die lebendige Mauer von Kriegern sahen, von welcher sie umgeben waren. Der ‚Starke Büffel‘ kam, als er seine Leute aufgeklärt hatte, wieder herein zu mir, deutete auf die Yumas und fragte:
„Denkst du, daß sie sich wehren werden?“
„Nein. Ich habe mit ihrem Häuptling gesprochen.“
„So ergeben sie sich?“
„Ich denke es.“
„So sterben sie nun doch am Marterpfahl!“
„Das glaube ich nicht. Denn bietest du ihnen nichts als den Marterpfahl, so werden sie sich nicht ergeben, sondern wehren bis auf den letzten Mann.“
„Das mögen sie tun!“
„So kostet es viel, sehr viel Blut.“
„Sprich doch nicht immer vom Blut! Mögen sie erschossen werden!“
„Und viele deiner Krieger auch!“
„Schwerlich! Der Kampf wird nur einige Augenblicke währen. Bedenke, welche Macht wir gegen sie haben. Ich mit meinen Mimbrenjos, Winnetou und du mit deinen Bleichgesichtern, und die ‚Listige Schlange‘ mit dreihundert Kriegern, die zu dir halten!“
„Ja, sie werden zu mir halten, aber gegen dich.“
„Was soll das heißen?“
„Das soll heißen, daß ich dem ‚Großen Mund‘ sowie allen seinen Leuten Gnade versprochen habe.“
„Gnade? Wie durftest du das! Befanden sie sich in meiner Hand oder in der deinigen?“
„Zunächst in der meinigen. Willst du sie etwa wieder zum Marterpfahl führen und unterwegs entfliehen
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