39 - Satan und Ischariot III
Ist das aber denn gewiß?“
„Freilich nicht.“
„Also ist es besser, wir nehmen das Frauenzimmer fest.“
„Nein“, entgegnete ihm Winnetou. „Wir dürfen uns nicht an ihr vergreifen, denn sie wird mit Melton zusammentreffen.“
Er sagte das mit einer solchen Bestimmtheit, daß selbst ich mich darüber verwunderte und ihn deshalb fragte:
„Mein Bruder scheint nicht daran zu zweifeln? Ich habe zugegeben, daß es unsicher ist.“
„Wenn Jonathan nicht blind ist oder wenn seine fünfzig Mogollons Augen haben, müssen sie auf die weiße Squaw treffen. Ich habe schon gesagt, daß der Weg nach dem Pueblo eine halbe Stunde von hier vorüberführt. Die Gegend ist eben, und es steht auf der Ebene weder ein Fels noch ein Busch oder Baum. Die weiße Squaw aber hat dort an der Quelle ein so großes Feuer brennen, daß man einen großen Büffelstier daran braten könnte. Das Feuer ist so stark und lodert so hoch, daß man es viel weiter als eine halbe Stunde sehen muß.“
„Ganz gut! Wenn Melton da vorüberkommt oder sich schon in der Nähe befindet, wird er es also sehen. Wenn er aber noch nicht da oder schon vorüber ist, was dann?“
„Vorüber kann er noch nicht sein. Wir sind zwar weit gewesen, bis an die ‚Quelle des Schattens‘ und von dort zurück hierher; aber wir haben gute Pferde, und wir hatten Eile. Melton ist nicht so gut beritten, und seine Mogollons sind es auch nicht. Nichts treibt sie an, ihre Pferde anzustrengen. Wenn sie, wie ich vermute, den gewöhnlichen Indianerschritt geritten sind, so können sie nicht weiter gekommen sein, als bis in diese Gegend. Und weil die Quelle, an welcher die Jüdin mit ihren Roten lagert, das beste Wasser im Umkreis besitzt und die Mogollons gerade zur Lagerzeit in diese Gegend kommen, so ist es sogar wahrscheinlich, daß sie sich nach der Quelle wenden, um dort über Nacht zu bleiben.“
„Das wäre ein Gaudium!“ meinte der Englishman. „Wir würden die ganze Sippschaft auf einmal gefangennehmen, die Judith, den Jonathan, die Yuma- und auch die Mogollon-Indianer!“
„Still“, unterbrach ich ihn. „Zunächst sind diejenigen, welche du fangen willst, noch nicht hier, und es ist auch immerhin sehr fraglich, ob sie überhaupt kommen.“
„Ja, was soll denn aber geschehen? Was wollen wir tun?“ fragte er.
„Es abwarten sollt Ihr! Zunächst will auch ich mich einmal nach dem Feuer schleichen. Winnetou war schon dort, kennt also den Ort und wird mich führen. Sind wir zurückgekehrt, so können wir die Frage, was geschehen soll, eher beantworten.“
„Wir bleiben einstweilen hier?“
„Nein; wir reiten zunächst noch eine Strecke weiter zurück. Man weiß nie, was geschehen kann, und es ist also besser, wir wählen einen sicheren Ort.“
Wir wendeten uns also rückwärts, bis wir den östlichen Vorsprung des ‚Schlangenberges‘ erreicht hatten. Er wurde umritten, und nun, als wir uns wieder auf der südlichen Seite des Berges befanden, hielt ich uns für sicher. Wir stiegen von den Pferden. Emery und Dunker hatten mit den vier Nijora-Kundschaftern hierzubleiben, und wir beide, Winnetou und ich, wendeten uns wieder hinüber nach der anderen Seite.
Als wir den Punkt beinahe erreicht hatten, an welchem dem Apachen der Brandgeruch aufgefallen war, folgte er der Richtung, welche er dann eingeschlagen hatte, nicht: er drang nicht geradeaus in die Büsche ein, sondern wendete sich links nach dem steilen Fuß des Berges, wo Bäume standen. Als wir da angekommen waren, gab es keine leuchtenden Sterne mehr über uns, sondern nur dichte Finsternis um uns her. Wir tasteten uns weiter, indem der Apache voranschritt und ich ihm folgte. Das dauerte wohl eine Viertelstunde, denn wir mußten sehr vorsichtig sein und kamen nur Zoll um Zoll weiter.
Endlich sahen wir den Schein des Feuers uns zwischen den Bäumen entgegendringen. Jetzt konnten wir besser sehen und uns also rascher bewegen. Aber wir konnten auch leichter bemerkt werden und mußten also noch vorsichtiger sein als bisher. Wir krochen am Boden hin und hielten uns dabei nur in dem Schatten, welchen die Bäume warfen. Dabei drehte, als ich mich einmal dem Apachen ganz nahe befand, dieser den Kopf zu mir um und flüsterte:
„Mein Bruder wird sich über die Stelle freuen, an welche ich ihn führe, weil er noch selten einen Ort gefunden haben wird, der so zum Lauschen geeignet ist wie dieser.“
Er hatte recht. Wir befanden uns, von dem Lagerplatz aus gerechnet, vielleicht vier Ellen hoch an der
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