39 - Satan und Ischariot III
sie fangen können, uns aber nicht. Wir haben hier ihr Nest entdeckt. Sollten sie entkommen, so sind wir immer wieder hinter ihnen her und lassen ihnen keine Ruhe, bis wir sie ergriffen haben. Das wissen sie. Auf einmal fällt Vogel in ihre Hände, wirft ihnen ihre Verbrechen vor und sagt, daß er der einzige und richtige Erbe ist. Was werden sie tun?“
„Ihn sofort umbringen!“ antwortete Emery im Ton der Überzeugung.
„Ist mein Bruder Charley derselben Überzeugung?“
„Nein“, erwiderte ich, denn ich wußte nun, was Winnetou gemeint hatte. „Der Mord könnte ihre Lage nicht verbessern, sondern er würde sie nur verschlimmern, weil die Mörder dann bei uns auf kein Erbarmen mehr rechnen dürften.“
„Mein Bruder hat recht; denn wenn sie ihn nicht töten, sondern ihn als Geisel gebrauchen, ist Rettung für sie möglich.“
„So meint mein Bruder Winnetou, daß, wenn wir hier sitzen bleiben, bald ein Kundschafter und dann ein Unterhändler kommen wird?“
„Ja.“
„Mein Bruder ist der scharfsinnigste von uns dreien. Er irrt sich nie, und ich bin jetzt auch überzeugt, daß seine Vermutung sich erfüllen wird.“
„Ich zweifle sehr daran“, brummte Emery unwillig. „Und selbst wenn es sich bewahrheiten sollte, würdet ihr mit diesen Menschen in Unterhandlung treten?“
„Ja. Man tut, was klug ist. Es gilt zunächst, dafür zu sorgen, daß dem jungen Mann kein Leid geschieht, und dies können wir nur dadurch erreichen, daß wir scheinbar auf die Vorschläge, welche uns etwa gemacht werden, eingehen oder sie wenigstens in Überlegung ziehen. Wir sind heute unvorsichtig und dadurch unglücklich gewesen, doch ist bei dem Unglück ein großes Glück, welches mich mit dem Unfall vollständig auszusöhnen vermag.“
„Welches Glück?“
„Daß wir unsere Lassos bei uns haben. Hätten wir sie bei den Pferden zurückgelassen, so wären sie uns verloren, und ich wüßte nicht, wie wir Vogel befreien wollten.“
„Pshaw! Heraus muß er auf jeden Fall; eher ruhe ich nicht!“
„Aber unter welcher Vermehrung der Gefahren und Schwierigkeiten! So aber bin ich überzeugt, daß er schon morgen früh wieder frei sein wird. Ich hoffe nämlich, daß –“
Winnetou unterbrach mich durch einen Wink, den er mir gab. Er lag so, daß er ein Stück in den Hohlweg hinein- und hinabblicken konnte; ich sah seine Augen funkeln; dann hörte ich Schritte; es kam jemand, langsam und vorsichtig, wie einer, der seiner Sache nicht sicher ist. Wir schoben uns noch weiter ins Gebüsch hinein; da kam er – ein Indianer. Er sah nach links und rechts, und als er rundum niemand erblickte, trat er vollends aus dem Hohlweg heraus und begann, die Spuren zu mustern, welche sich von uns und seinen Leuten hier im Gras befanden.
Jetzt kehrte er uns den Rücken zu. Winnetou erhob sich und stellte sich leise hinter ihn; auch ich stand leise auf, und Emery folgte geräuschlos unserem Beispiel. Jetzt fragte der Apache laut:
„Was sucht mein roter Bruder hier im Gras?“
Der Yuma fuhr herum, sah uns und ließ vor Schreck seine Flinte fallen. Winnetou schleuderte sie schnell mit dem Fuß fort und fügte hinzu:
„Hat mein Bruder etwas verloren?“
Ich sah es wie einen blitzartigen Entschluß über das braune Gesicht des Yuma gehen und schnellte mich mit drei Schritten vor den Hohlweg hin. In demselben Augenblick tat er das gleiche. Er flog mir gerade in die Arme, die ich fest um ihn schlang; er machte zwar einen Versuch, sich loszureißen, als ihm dieser aber nicht gelang, verhielt er sich still und ließ sich von Winnetou vollends entwaffnen. Als ich ihn dann aus dem Hohlweg zur Seite führte, wo wir gesteckt hatten, und ihm befahl, sich niederzusetzen, gehorchte er ohne Widerstreben. Winnetou legte sich so, daß er hinter dem Busch hervor den Hohlweg überblicken konnte, und sagte dann zu dem Gefangenen:
„Weiß mein Bruder, wer wir sind?“
Der Gefragte nickte.
„Er mag unsere Namen sagen!“
„Winnetou und Old Shatterhand; das andere Bleichgesicht kenne ich nicht.“
„Der weiße Mann ist ein berühmter Jäger, der sich noch nie vor einem Feind gefürchtet hat. Mein Bruder hat unsere Namen richtig genannt. Wo hat er sie gehört, oder hat er uns vielleicht selbst kennengelernt?“
„In der Sonora, bei der Hazienda del Arroyo und in Almadén alto habe ich euch gesehen.“
„Wenn mein Bruder sich erinnert, was dort geschehen ist, so wird er auch wissen, daß wir nicht Feinde der Yuma sind, denn wir haben Frieden
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