4 - Wächter der Ewigkeit
gehen nicht zum ersten Mal gemeinsam ins Zwielicht, stimmt’s?«
Er packte mich sogar beim Arm. Ich protestierte nicht. Ich fand meinen Schatten am Fußboden und trat in ihn ein. Worauf mir sogleich eisiger Wind entgegenpeitschte, mich die zugefrorene, gierige Weite des Zwielichts erwartete …
Die erste Schicht.
Ohne innezuhalten, ging es weiter. Die zweite Schicht. Der Raum um mich herum brodelte, aufgerührt durch das frische Blut oder durch die Bresche, die Merlin hier einst ins Weltgebäude geschlagen hatte.
Edgar und Arina waren nach wie vor neben mir. Beide wirkten konzentriert, angespannt. Im nächsten Moment tauchte auch Gennadi auf, der sich über die blutigen Lippen leckte. In der zweiten Schicht erkannte ich ihn kaum wieder, dermaßen entstellten ungeheuerliche Bosheit und Wahnsinn das Gesicht von Sauschkin senior.
Die dritte Schicht. Hier hallte noch das Echo des Kraftwirbels nach, der uns bis vor kurzem den Weg in diese Tiefen versperrt hatte. Edgar spähte umher.
»Jemand verfolgt uns …«, sagte er. »Das Zeichen hat funktioniert.«
»Hat es ihn aufgehalten?«, fragte Arina, aus deren Mund eine Dampfwolke aufstieg.
»Keine Ahnung. Gehen wir tiefer!«
Die vierte Schicht empfing uns mit einem rosafarbenen Himmel und buntem Sand. Ich befreite meinen Arm aus Edgars Griff.
»Denk an unsere Abmachung!«, blaffte ich. »Ich werde mich aus dem Kampf mit dem Golem raushalten!«
»Es zwingt dich auch niemand, mit ihm zu kämpfen.« Edgar grinste. »Keine Sorge, du kannst dich abseits halten. Vorwärts!«
An dieser Stelle hatte ich mir vorgenommen, einen Streit anzuzetteln. Um Zeit zu schinden, zu fliehen oder aber zu bleiben, um die Ewige Wache in ihren sinnlosen Kampf mit dem Monster zu schicken.
Doch irgendwas packte mich. Der gleiche Wahnsinn, der sich Arinas, Edgars und Gennadis bemächtigt hatte, hielt nun auch mich gefangen. Ich musste in die fünfte Schicht vordringen! Musste es einfach!
Und sei es nur, um ihre Wachsamkeit einzulullen …
»Gut, aber ich habe nicht die Absicht, mir euretwegen den Kopf einschlagen zu lassen!«, schrie ich, während ich, von Edgar aufmerksam beäugt, in die fünfte Schicht eintrat.
Fast im selben Moment tauchten die drei neben mir auf. Sie waren hervorragend mit Kraft aufgeladen. Nur Gennadi erschien den Bruchteil einer Sekunde später, da er anscheinend zwei Anläufe brauchte.
Trotz allem war es hier viel angenehmer als in den oberen Zwielicht-Schichten! Kühl und frisch, aber ohne diesen eisigen, alles Leben aus einem heraussaugenden Wind. Und die Farben wirkten fast natürlich …
Suchend sah ich mich nach dem Golem um. In einer Entfernung von zweihundert Metern erspähte ich ihn: Aus dem hohen Gras ragten zwei Schlangenköpfe auf, die sich gleich den Periskopen von U-Booten hin und her drehten. Jetzt entdeckte der Golem auch uns. Die Köpfe erzitterten und schraubten sich hoch. Ein Zischen war zu hören, das ich für das einer Schlange gehalten hätte, wäre die Entfernung dafür nicht zu groß gewesen.
Im nächsten Moment glitt die Schlange auf uns zu, wobei sie es schaffte, beide Köpfe über dem Gras zu halten.
»Kopf und Schwanz«, meinte Arina nachdenklich. »Ich weiß nicht, ich weiß nicht … Edgar, lass Kong los.«
Was sie damit meinte, wurde mir klar, als Edgar aus seiner Tasche eine kleine Nephritfigur herausholte, die als langatmiger Affe mit kurzen, spitzen Hörnern auf dem Kopf gearbeitet war. Der Inquisitor blies die Statuette an und drehte ihr behutsam den Kopf ab. Der Affe war innen hohl. Vorsichtig setzte er den offenen Flakon im Gras ab. Wir konnten uns gerade noch in Sicherheit bringen, bevor aus dem Gefäß grüner Rauch aufstieg und die Figur sich in ein Monster verwandelte.
Dem King-Kong-Deva, der in Samarkand Alischer gejagt hatte, glich dieser Affe in keiner Weise. Vor allem war er nicht so groß, sondern maß nur knapp drei Meter bis zum Widerrist. Mit dem zähnegebleckten Maul, den muskulösen Pranken mit den spitzen Krallen, dem struppigen dunkelgrauen Fell und den in blinder Bosheit brennenden orangefarbenen Augen beeindruckte er dennoch weitaus mehr als der sentimentale Koloss aus dem Film.
Vermutlich hatte King Kong auch nicht so widerlich und scharf gestunken. Wie kann ein Golem stinken, wo er doch nicht aus Fleisch, ja, nicht einmal aus Lehm, sondern aus konzentrierter Kraft besteht, die bis eben in ein magisches Gefäß gebannt worden war? Keine Ahnung. Vielleicht handelte es sich dabei einfach um einen
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