40 Stunden
als jeder Cold Turkey. In der Küche trat er an die Arbeitsplatte und griff nach der Glaskanne, um sich Nachschub einzugießen. Der Kaffee schmorte seit Stunden auf der Warmhalteplatte vor sich hin und schmeckte mittlerweile wie Altöl. Egal! Wenigstens war er heiß.
Während Faris den nächsten Schluck trank, schnitt ein zirpendes Geräusch durch seine Gedanken. Im ersten Moment hatte er keine Ahnung, woher es kam, aber als es lauter wurde, erkannte er es. Es kam von dem neuen Smartphone, das er sich am Vortag gekauft hatte.
Faris warf einen missmutigen Blick auf die Kaffeemaschine. Dann schaltete er sie aus, stellte den Becher beiseite und machte sich auf die Suche nach dem Handy. Es befand sich nicht in seiner Lederjacke und auch nicht in der Jeans, die er am Abend zuvor achtlos auf den Sessel im Schlafzimmer geworfen hatte. Schließlich entdeckte er es unter dem aufgeschlagenen Roman von Haruki Murakami auf dem Nachttisch. Er angelte es hervor, starrte verdrossen auf das in rhythmischem Blau aufblinkende Display. Unbekannter Teilnehmer stand dort. Nachdem er sich gestern zwei Stunden lang damit herumgeärgert hatte, all die unnützen Funktionen des Gerätes zu begreifen, hatte er keine Lust mehr gehabt, seine wenigen Kontakte in den Speicher einzugeben. Aber selbst wenn er es getan hätte, hätte es ihm jetzt nichts genützt: Der Anrufer hatte seine Nummer unterdrückt.
Während Faris zurück ans Schlafzimmerfenster trat und einen Blick in sein inzwischen kaum noch zu erkennendes Spiegelbild in der Scheibe warf, nahm er das Gespräch an. » Iskander?«
» As-samu alaikum, Faris.« Die Stimme war elektronisch zu einem tiefen Dröhnen verzerrt.
In Faris’ Adern gefror das Blut.
2. Kapitel
As-samu alaikum.
Diese Worte hatte Faris zum letzten Mal vor zehn Monaten gehört, und nun katapultierten sie ihn schlagartig wieder zurück in die Vergangenheit. Auf einmal stand er nicht mehr in seinem Schlafzimmer, sondern in der Eingangshalle des Klersch-Museums. Die Blaulichter unzähliger Einsatzwagen zuckten über die Wände neben ihm. Sein Magen hatte sich verkrampft, und der Kopfhörer, den die Kollegen vom Kriminaltechnischen Institut, kurz KTI , ihm gegeben hatten, drückte hinter seinem Ohr. Vor ihm, auf der anderen Seite einer mit Ornamenten versehenen doppelflügeligen Tür, hinter der der Kidnapper sich mit seinen Geiseln verschanzt hatte, weinte ein Kind. Es war das leise, hoffnungslose Geräusch, das jemand ausstieß, der ahnte, dass er sterben würde.
» Eine Frage, Faris.« Faris hörte Verzweiflung, die in der Stimme des Geiselnehmers mitklang. » Ein Mann mit dunkler Haut, ein Gürtel, zehn Kilo Sprengstoff. Was ergibt das?«
In einem vergeblichen Versuch, die innere Anspannung unter Kontrolle zu halten, ballte Faris die Rechte zur Faust. Er musste ruhig klingen, das wusste er. Langsam befeuchtete er die Lippen mit der Zunge. » Lassen Sie uns reden«, sagte er. » Ich wurde in Alexandria geboren. Ich bin Muslim, wie Sie…«
Doch der Geiselnehmer unterbrach ihn mitten im Satz. » Falsche Antwort.« Der Klang der Stimme brachte etwas in Faris’ Brust zum Erzittern.
» Hören Sie…«, rief er.
Aber es war zu spät.
» As-samu alaikum, Faris Iskander«, sagte der Geiselnehmer.
Eine Sekunde darauf explodierte die Tür in einem Regen aus Holzsplittern, eine Feuerwalze rollte auf Faris zu und hüllte ihn ein…
Die Erinnerung an die Detonation und die unbarmherzigen Schmerzen, die darauf gefolgt waren, ließ Faris jetzt in seinem Schlafzimmer aufkeuchen.
Der Anrufer am anderen Ende der Leitung lachte, aufgrund der Verzerrung der Stimme hörte es sich an wie ein Rasseln. » Du erinnerst dich.«
Faris’ Herz hämmerte. Er schloss die Augen, atmete einmal tief ein. » Hören Sie…«, begann er, und ihm wurde kalt, als er bemerkte, dass dies auch die letzten Worte gewesen waren, die er damals zu dem Bombenattentäter gesagt hatte.
» Tz, tz«, machte der Anrufer abfällig. » Man könnte meinen, du hättest dazugelernt.«
Faris biss die Zähne zusammen. » Wer sind Sie?«
Die Reaktion des Anrufers kam mit einer leichten Verzögerung. » Hast du keine Idee?«
Die Explosion im Museum … Faris sah sich durch die Luft fliegen, gegen die Mauer prallen… Er war zu schwer verletzt gewesen, um sich wieder aufzurappeln, aber bevor er das Bewusstsein verlor, hatte er einen Blick durch die Öffnung geworfen, dorthin, wo kurz zuvor noch die Tür gewesen war. Rauch hatte ihm die Sicht verwehrt, und als
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