40 Tage Fasten - von einem, der mal Ballast abwerfen wollte
polarisiert und möglichst lautstark seine Meinung vertritt, bekommt Sendezeit.
Ich empfinde es als unwürdig und lächerlich, wenn sich Menschen in Talkshows anbrüllen und nicht mal ausreden lassen.
Es haben immer beide recht. Oder keiner. Je nachdem.
Die Grauzone ist tabu. Wer will schon grau sein? Dann doch lieber polarisieren, dramatisieren. Und wenn das nicht weiterhilft: onanieren. Aber das traut sich nur Nina Hagen im Fernsehen. Unwürdig und lächerlich ist ihr Verhalten damit trotzdem.
Aus der nächsten Verwandtschaft wurde ich vorwurfsvoll gefragt: »Was suchst du eigentlich?« – »Nichts! Ich faste nur«, war meine Antwort. Ich verzichte auf Nahrung. Das ist alles. Aber Verzicht kennt man von mir nicht. So will man mich offenbar auch nicht sehen.
Der heimliche Vorwurf, der in dieser Frage mitschwingt, lautet: Es gehört sich nicht, zu suchen. Dabei suchen wir doch alle! Glück, Frieden, Harmonie, Liebe und so weiter. Die meisten tun das, indem sie die gesellschaftlich vorgeschriebenen Stationen durchlaufen: Ehepartner, Haus, zwei oder drei Kinder, Kombi (gerne A6) und dann noch einen Hund. Das ist Glück. Wenn aber jemand von diesem vorgestanzten Weg nicht sehr viel hält, sondern anders lebt, wird ihm vorgeworfen, er sei ein Sucher, unruhig, entwurzelt, im Grunde gefährlich – ein vom Wege Abgekommener.
Auch der gemeine Hausbesitzer ist so ein Sucher, nur weiß er es nicht.
Ich verzichte auf die Erleuchtung. Soll ich mir jetzt eine Stulle schmieren?
Einunddreißigster Tag, 1.Oktober
»Eine verwegene Theorie«, urteilt der Ernährungsmediziner Andreas Pfeiffer von der Charité in Berlin. »Die Vorstellung, dass im Körper Abfälle lagern, die sich quasi per Müllabfuhr beseitigen lassen, ist durch keinerlei Studien belegt.« Aber vielleicht sind wissenschaftliche Beweise, dass Fasten den Körper entschlackt, gar nicht notwendig: »Eine Heilmethode kann auch dann helfen, wenn die Theorie dahinter nicht belegt oder sogar falsch ist«, sagt Edzard Ernst von der britischen University of Exeter.
Berliner Zeitung vom 25.02.2009
Einunddreißigster Tag, 1. Oktober
80,0 KILOGRAMM
Oje! 80 Kilogramm. Nur noch drei Kilo bis zum Untergewicht. Jetzt darf ich nur noch 300 Gramm pro Tag abnehmen. Der sogenannte Body-Mass-Index errechnet, in welcher Gewichtskategorie man sich befindet. Gewicht geteilt durch Länge hoch zwei. Untergewicht beginnt je nach Definition bei einem Index von 19,5. Das sind bei meiner Länge von knapp zwei Metern demnach 77 Kilogramm. Und ich sehe jetzt schon wie ein mittelalterlicher Kerkerinsasse aus.
Dafür ist aber tatsächlich ein Ende in Sicht. Es ist Oktober, und ich bin innerlich in blendender Verfassung, würden die Gazetten schreiben, wäre ich berühmt und 80 Jahre alt. Nun bin ich aber erst 38 und sehe mindestens so ausgemergelt aus wie die Generation meiner Großväter.
Ich bin zum ersten Mal ohne Druck auf der Blase aufgewacht. Musste nur einmal raus.
Gestern plagten mich merkwürdige Nieren- und Leberschmerzen. Eine weitere Katharsis meines Körpers, um durch das Fasten in ein neues Gleichgewicht zu geraten.
Statt vom Essen träumte ich die vergangenen beiden Nächte von Sex. Verbotenerweise mit Exfreundinnen. Kurz vor der Vereinigung wurde mir immer klar, was ich da gerade mache, bekam ein schrecklich schlechtes Gewissen Gabi gegenüber, brach den Sex ab und wachte unbefriedigt auf.
Gabi denkt übrigens, wenn sie mich ansieht, nicht mehr im Entferntesten an Sex. »Du siehst aus wie ein verhungertes Vögelchen, ich hätte ja Angst, dich zu zerbrechen«, erklärte sie mir gestern. Ich muss hier unbedingt festhalten, dass Gabi alles andere als eine Matrone ist.
Der Fastenpapst der Franzosen heißt Guelpa; dieser erzielte nach eigenen Angaben bei folgenden Krankheiten besonderen Erfolg durch Fasten: Diabetes, Asthma, Bronchitis, Migräne, Rheuma, Ischias, Arthritiden, Fettleibigkeit, Magen-, Darm- und Leberleiden, Verstopfung, Ausschläge, Neurasthenie, Glaukom, Augenentzündungen und Rauschgiftsucht. Guelpa therapierte sich so erfolgreich selbst, besonders aber andere.
Habe mal wieder einen halben Liter Sauerkrautsaft hinuntergewürgt. Der Dünndarm scheint aber nicht mehr aktiv zu sein. Außer Gegrummel und Geglucker ist nicht viel gewesen.
Vielleicht lechzt mein Körper deshalb jetzt nach Nahrung. Ich habe keinen Hunger, nur entsetzliche Lust, etwas zu essen. Dabei weiß ich noch nicht mal, was.
Ich weiß, dass ich mich irgendwann nach dieser Fastenzeit
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