41 - Unter heisser Sonne
Rolle spielen. Ich habe jenseits des Mittelmeers nie so sauber und insektenlos gewohnt, wie bei diesem braven Ausputzer der mohammedanischen Tabakspfeifen.
Aber leider keine Rose ohne Dornen! Der Dorn in der lieblichen Rose unseres Wohlbefindens war ein alter Nachbar, welcher uns allabendlich besuchte, um seinen Tschibuk bei uns zu rauchen und dazwischen einige Knoblauchzwiebeln zu verzehren. Wie er eigentlich hieß, das hatte ich nicht erfahren können; er wurde von allen, die ihn kannten, nur esch Schahad, der Bettler genannt. Damit ist gesagt, wovon er lebte.
Esch Schahad zog nicht etwa bettelnd in der Stadt herum; o nein, zu den armseligen Proletariern, die dies taten, gehörte er keineswegs! Er hatte einen ‚Stand‘, und zwar was für einen! Dieser Stand war der beste Platz, den es für sein Gewerbe in ganz Kairo gab; er brachte ihm nicht nur Almosen in Hülle und Fülle ein, sondern dazu auch noch eine Art von Heiligenschein, der ihn hoch über alle seine Erwerbsgenossen erhob.
Wer in Kairo gewesen ist und sich nur einigermaßen in der Stadt umgesehen hat, dem ist ganz gewiß das Binnentor Bab Zuweileh bekannt, welches nach auswärts einen Spitzbogen in hoher Wand bildet und nach der inneren Stadt eine rot und weiß gebänderte Bastion vorschiebt, auf der die Minarehs der benachbarten Moscheen sitzen. An diesem Tore stand oder saß esch Schahad vom Morgen bis zum Abend, und kein gläubiger Mohammedaner, der vorüberging, versäumte es, sich durch ein Almosen unter den ganz besondern Schutz Allahs und der Geisterwelt zu stellen.
Im Kopf des Moslem wimmelte es von Djinns, Geistern und anderen unbegreiflichen Wesen, die zwischen Himmel und Erde und zumal in den Märchen leben und einen großen Einfluß auf den Menschen haben. Diese unsichtbaren Wesen fliegen und schweben in so großer Anzahl umher, daß man kein Wasser ausschütten und nichts wegwerfen darf, ohne vorher „Mit Erlaubnis!“ zu rufen, weil man sonst einen Geist auf den Kopf treffen und damit seine Rache herausfordern könnte. Der berühmteste und mächtigste unter den Geistern Kairos aber wohnt in dem Bab Zuweileh und hat seinen Aufenthalt in einem kleinen Raum des östlichen Torweges, der durch den hölzernen Torflügel verdeckt wird.
Dieser Geist ist der berühmte ‚Kutb‘, welcher fast die Allmacht Allahs besitzt. Er kann in einem einzigen Augenblick um die ganze Erde fliegen; er hört alles, sieht alles und kann alles. Wer es mit ihm verdirbt, der ist verloren, und wer sich seine Gunst erwirbt, der kann auf die Erfüllung aller Wünsche rechnen. Dieser Kutb hat Macht über alle frommen Moslemim, mögen sie wohnen, wo sie wollen, in dem westlichsten Winkel der Sahara oder tief im Osten bei den Chinesen; er kennt sie alle und ist auch ihnen allen bekannt, wenn ihn auch noch keiner gesehen hat. Will er einmal in sichtbarer Gestalt erscheinen, so geschieht das in der Gestalt des Bettlers, der sein Diener und sein Vertrauter ist. Man kann sich also denken, wie hochwichtig und wie wertvoll der Bettlerplatz am Tor Zuweileh ist! Esch Schahad hätte ihn nie freiwillig hergegeben und um seinen Besitz mit jedem Konkurrenten bis auf den Tod gekämpft. Welche Ehren genoß er da! Kein Moslem ging an ihm vorüber, ohne die Fatcha, die erste und einleitende Sure des heiligen Korans, zu beten! Und wer einen Wunsch, eine Bitte an den Kutb hatte, der blieb stehen, um sie in lauten, flehenden Worten auszusprechen. So erfuhr der Bettler manches Geheimnis, welches er in seiner verschwiegenen Brust verschlossen hielt.
Also dieser hochwichtige Mann war der Dorn in unserer Rose! Er kam alle Abende so sicher wie der Abend selber, rauchte seinen fürchterlichen Tabak oder kaute seinen ebenso genußreichen Knoblauch und sprach dabei von allen möglichen Dingen, aber nur nicht von dem Kutb, über den ich doch so gern etwas Näheres erfahren hätte. Das war sein Amts- oder vielmehr Geschäftsgeheimnis. Er duftete nach allen möglichen Gerüchen, die einem Bettler anhaften können, und paßte nicht in unsere reinliche Behausung, wurde aber trotzdem von meinem Wirt geduldet, weil er der Nachbar desselben und ihn durch seine Besuche gewohnt geworden war. Auch ich war ihm nicht unbekannt, denn ich hatte ihm früher, so oft ich durch das Bab Zuweileh und an ihm vorübergegangen war, stets ein Geschenk gegeben, und da meine Kleidung diejenige eines Europäers gewesen war, hatte er sich über diese Gaben gewundert und sich mein Gesicht gemerkt. Als er mich dann zum
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