41 - Unter heisser Sonne
Stadt hinter uns verschwunden. Eine Viertelstunde später sahen wir von weitem, rechts von uns, die erste Hammelherde der Selass. Ich ließ Rahel vom Pferd und gebot ihr:
„Geh weiter jetzt, immer geradeaus! In kurzer Zeit sind wir wieder bei dir!“
Sie gehorchte, und wir jagten nach dem Lager der Selass, um unsere Pferde zu verlangen. Sie weigerten sich nicht, sie uns zu geben, obgleich sie sich über unsere große Eile wunderten. Sie halfen uns sogar beim Satteln und erstaunten nicht wenig, als wir ihnen unsere alten Pferde schenkten, ehe wir auf den neuen fortritten.
Eine Viertelstunde, nachdem wir uns von der ‚Rose von Kaïrwan‘ getrennt hatten, waren wir wieder bei ihr; wir halfen ihr auf das dritte Pferd und jagten weiter, gerade noch zur rechten Zeit, denn wir sahen im Norden von uns eine Wolke von Reitern erscheinen. Erst zu Mittag hielten wir bei einem Gebüsch an, wo wir uns so viel Zeit nahmen, daß Rahel den Knabenanzug anlegen konnte. Wir waren gerettet. Das Glück der ‚Rose‘ und ihres Geliebten ‚aus dem Bilad Amirika‘ brauch ich nicht zu beschreiben.
Wir erreichten wohlbehalten Sfax, wo wir so glücklich waren, einen Dampfer der Societa Rubattino vorzufinden, der uns mit nach Tripolis nahm. Unterwegs erzählten wir Rahel von dem Tod Manasse Ben Aharabs und daß dieser nicht ihr Vater gewesen war. Sie weinte sehr, tröstete sich aber mit dem Glück, nun von dem Geliebten nicht wieder getrennt zu werden. Von den Tibbu war sie unterwegs zwar als Gefangene, aber sonst ganz erträglich behandelt worden. Wie freute sie sich, als mit einer Karawane ihre treue Rebekka aus Mursuk in Tripolis ankam! Das hatte Forster so veranstaltet. Die gute Seele ging mit dem jungen Paar gern hinüber nach dem ‚Bilad Amirika‘.
Und das Amulett?
‚Warda‘, die Rose, hatte es, so weit sie zurückdenken konnte, stets an einem Kettchen am Hals hängen gehabt. Es war ein rundum zugenähtes, kleines Lederetui. Als sie es aufschnitt, kam ein Medaillon zum Vorschein, welches einen schönen, charaktervollen Männerkopf in Miniaturmalerei enthielt. Wir konnten die kleine Platte herausnehmen; auf der Rückseite derselben las ich zu meiner Überraschung:
„Robert Surcouf, Paris 1804.“
War dieser der ‚berühmte Kapitän‘, von welchem der sterbende Matrose gesprochen hatte? Und wenn, in welcher Weise durfte sich dann Rahel seine Enkelin nennen? Es gab da eine ganze Reihe von Fragen, von denen keine mit Sicherheit zu beantworten war, denn es sind alle Nachforschungen vergeblich gewesen. Über eine Frage aber herrscht die vollständigste Klarheit, nämlich über die, ob die ‚Rose von Kaïrwan‘ glücklich geworden ist. Die Antwort besteht in einem Ja, gegen welches kein Zweifel erhoben werden kann. – – –
Der Kutb
Erster Teil: In Kairo
Zufall oder Schickung? Lieber Leser, was von diesen beiden ist wohl richtig? Hoffentlich gehörst du nicht zu denjenigen, welche an das erstere glauben, sondern zu denen, welche wissen, daß, wie die Heilige Schrift sagt, kein Haar ohne ‚Seinen‘ Willen von unserem Haupt fällt.
Wie oft habe ich während meiner vielen Reisen an mir selbst erfahren, daß eine allweise Hand meinen Weg ganz anders lenkte, als es mein Wille war, und zwar stets zu meinem Glück! Wie oft wurde ich aus einer mißlichen oder gar gefährlichen Lage durch einen ganz geringfügigen Umstand befreit oder errettet, den ein Anhänger der Zufallslehre geradezu für eine Unmöglichkeit erklären würde, der mir aber ein Wink von oben war, dem ich zu folgen hatte! Ein kurzes, schnell vorübergehendes Ereignis, welches ohne alle Bedeutung zu sein schien, eine rasche, impulsive Tat, scheinbar von nicht dem geringsten Wert, ein gelegentliches Wort, welches ich schon einige Augenblicke später vergessen hatte, trat plötzlich nach Jahren und in einem ganz anderen, fernliegenden Land mit seinen Folgen bestimmend oder erlösend vor mich hin, so daß mir wie ein Lichtstrahl die Erkenntnis kam, daß die gerechte Vorsehung jede Tat und jedes Wort des Menschen verzeichnet und die belohnende oder bestrafende Wirkung desselben im geeigneten Augenblick eintreten läßt. Wie viele Taten würden nicht geschehen und wie viele Worte würden nicht gesprochen, wenn alle Menschen der Überzeugung wären, daß alles, was sie erleben, reden oder tun, nicht unter der Herrschaft des sogenannten Zufalles steht, sondern unter einem höheren, weisen Gesetz, welches ebenso die Sonnen am Firmamente wie den Flug des
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