41 - Unter heisser Sonne
Silberarbeiter meine Wohnung mit und ging.
An diesem Abend kam der Bettler nicht zu uns und blieb auch an zwei folgenden aus. Das fiel uns auf; wir waren an ihn gewöhnt. Sollte er etwa krank sein? Ich ging am nächsten Morgen nach dem Bab Zuweileh; da saß er wie immer. Ich fragte ihn nach der Ursache seines Ausbleibens; er antwortete: „Ich habe ein Gelübde getan, welches mich zum Du 'a el Mesah (Abendgebet) zwingt, und muß also daheim bleiben. Wenn es vorüber ist, komme ich wieder.“
„Wann wird das sein?“
„Das weiß ich nicht.“
Sonderbar! Er mußte doch wissen, was er gelobt hatte und wie viele Abende er zu beten hatte!
Wir standen im Anfang des September, und es gab prachtvolle Abende. An einem solchen gefiel es mir nicht in der engen Stube, und ich stieg auf das platte Dach des Hauses, um da oben meinen Tschibuk zu rauchen. Am vorderen Rand des Dachs sitzend, konnte ich sehen, was auf unserer Gasse vorging. Zu meinem Erstaunen bemerkte ich, daß ein Mann kam, welcher an die Tür des Bettlers klopfte und eingelassen wurde. Nach einiger Zeit kam ein zweiter, ein dritter und vierter. Ich zählte zwölf Personen, welche eingelassen wurden. Was wollten sie bei esch Schahad, der sonst niemand zu sich ließ? Ich dachte an die ‚Verschwörung‘, über welche ich gelacht hatte, und blieb sitzen. Erst nach Mitternacht entfernten sie sich wieder, und zwar einzeln, wobei sie sich sehr behutsam verhielten.
Also kein Gelübde und kein Abendgebet, sondern heimliche Versammlungen! Das mir Unbegreifliche dabei war die Zahl der Personen. Der Bettler bewohnte nämlich ein fast ganz in Ruinen liegendes einstöckiges Häuschen, von welchem niemand wußte, wem es gehörte. Wahrscheinlich war der Eigentümer der reiche Abu Gibrail, welcher auf der mit der unserigen parallel laufenden Gasse wohnte und an dessen Grundstück die Hütte des Bettlers hinten stieß. Diese Hütte hatte in ihrem jetzigen Zustand keinen Raum, in welchem zwölf Menschen beieinander sein konnten. Wo hatte da esch Schahad die Leute, welche heute bei ihm gewesen waren, untergebracht? Das war mir ein Rätsel.
Am nächsten Abend kam er wieder nicht zu uns; ich ging also abermals auf das Dach und machte ganz dieselbe Beobachtung wie gestern. Sollte es sich wirklich um eine Verschwörung handeln? Lächerlich!
Eben, als ich am darauffolgenden Vormittag ausgehen wollte, kam ein Wasserträger an unsere Tür. Als er mir den Krug gefüllt und die geringe Bezahlung erhalten hatte, fragte er mich: „Wohnt hier nicht ein fremder Effendi?“
„Ja.“
„Der Kara Ben Nemsi heißt?“
„Ja.“
„Wo ist er?“
„Hier; ich bin es.“
„So habe ich dir etwas zu geben.“
Er zog ein altes, schmieriges Tuch aus der Tasche, welches mit einer Schnur fest umbunden und verknotet war, warf es mir hin und ging.
Was befand sich in dem Tuch? Mich graute, es anzugreifen; ich hob es aber doch auf, zerschnitt den Bindfaden und zog es an den Zipfeln auseinander. Da fiel ein Lederbeutel heraus. Ich hob ihn auf und öffnete. Was! Goldstücke, und dabei ein Zettel! Der letztere war zusammengeschlagen; ich machte ihn auf und las: „Nimm dieses Geld, und verlaß die Stadt, wenn auch dein Koffer verloren ist!“
Ich zählte das Geld. Es waren nach deutschem Geld dreihundert Mark. Wer schickte mir diese Summe?
Ich eilte hinaus auf die Gasse, um mich nach dem Wasserträger umzusehen; er war fort. Ich suchte ihn in den anstoßenden Gassen und fand ihn nicht. Er hatte von dem, von dem er zu mir geschickt worden war, die Weisung erhalten, sich schnell zu entfernen.
Wer aber hatte ihn geschickt? Jemand, welcher wußte, daß ich meinen Koffer suchte. Das waren nur wenige Personen, so daß es keines großen Scharfsinnes bedurfte, es zu erraten: der Bettler. Ich ging sofort nach dem Bab Zuweileh und fragte ihn: „Du hast jetzt einen Wasserträger zu mir geschickt?“
„Nein“, antwortete er.
„Ich bitte dich sehr, mir die Wahrheit zu sagen!“
„Ich sage sie.“
Dabei blieb er, obgleich ich weiter in ihn drang. Ich mußte das Geld behalten, obgleich ich das nicht gern tat. Abends kam er wieder zu uns; er machte uns die Mitteilung, daß sein Gelübde zwar noch in Geltung sei, ihm aber den heutigen Abend freigebe.
Während wir uns wie früher unterhielten, bemerkte ich, daß er innerlich sehr unruhig war. Dann fragte er, warum ich heut nach dem Wasserträger gefragt hätte; ich sagte es ihm und fügte hinzu, daß ich den Geber erraten hätte.
„So?“ fragte
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