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41 - Unter heisser Sonne

41 - Unter heisser Sonne

Titel: 41 - Unter heisser Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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zusammenbrach; die hinter ihm Stehenden wichen zurück; noch drei, vier tüchtige Stöße und Hiebe, der Weg aus dem Menschenknäuel öffnete sich und ich sprang, von Ali gefolgt, fort, zwischen den zwei nächsten Zelten hindurch und zu dem alten Mann hinüber, den ich für den Dorfältesten hielt. Das Volk, welches bei ihm stand, hatte sprachlos vor Erstaunen zugesehen und wich jetzt schnell zurück, aus Angst, auch Hiebe zu bekommen. Ich hielt bei ihm an und fragte ihn:
    „Inte el Scheik – bist du der Scheik?“
    „Aiba, Sihdim – ja, mein Herr“, antwortete er.
    „Jalla, dakilah ya Scheik – wohlan, ich bin der Beschützte, o Scheik!“
    „Dakilah bardi ya Scheik – auch ich bin der Beschützte, o Scheik!“ rief auch Ali, ihn bei der linken Hand nehmend, während ich seine Rechte ergriffen hatte.
    Der Alte war ganz erstaunt, anstatt Hiebe zu bekommen, um Schutz angerufen zu werden, faßte sich aber schnell, zog seine Hände aus den unsrigen, legte die eine mir und die andere Ali auf den Kopf und erklärte mit lauter Stimme:
    „Ahdahn meftihn, ya ridschal; haida dachli, haida dachli – macht die Ohren auf, ihr Männer; dieser ist mein Schützling, und dieser ist mein Schützling!“
    Die Tibbu waren uns heulend und fluchend nachgesprungen, um sich unser auf alle Fälle, selbst unter Aufbietung äußerster Gewalt, zu bemächtigen; aber als sie diese Worte hörten, blieben sie stehen und taten keinen weiteren Schritt vorwärts, denn das Wort Dakilah ist selbst dem rohesten Wüstenbewohner ein heiliges Wort, dessen Bedeutung er kennt und unbedingt achtet. Es öffnet den Bedrängten selbst in der größten Todesnot und mitten unter Feinden einen Rettungsweg. Wer sich im Kampf mit einer überlegenen Zahl von Gegnern befindet, ruft einem derselben, womöglich dem ältesten, das Wort Dakilah (ich bin der Beschützte), zu, und sofort wird dieser sich seiner annehmen und ihn gewiß mit dem größten Nachdruck gegen jedermann, selbst gegen die eigenen Freunde und Verwandten in Schutz nehmen. Der Beduine nimmt sich selbst seines Todfeindes für den Augenblick an, wenn dieser ihm dies Zauberwort zuruft und, was dabei freilich die Hauptsache ist, sich mit seinem Körper in Berührung setzt. Ich und Ali hatten die Hände des Scheiks ergriffen, sonst hätte die Anrufung uns nichts genützt.
    Dieser heiliggehaltene Gebrauch ist bei den ewigen Fehden jener Völker von einer großen, die Härten mildernden Bedeutung. Selbst die Blutrache muß augenblicklich schweigen, wenn das Opfer, bevor es von dem siegreichen Rächer den Todesstoß erhält, diesem das Wort Dakilah zuruft und es ihm dabei gelingt, ihn zu berühren. Freilich wird der Überlegene sich alle Mühe geben, diese Berührung unmöglich zu machen, aber es genügt das kürzeste und geringste Anhaften irgendwelchen Körperteils. Wenn der um Schutz Flehende z.B. den, welcher ihn beschützen soll, nicht mit den Händen zu erreichen vermag, so braucht er nur den Versuch zu machen, ihn anzuspeien; gelingt ihm dies, so ist er gerettet, denn der Speichel ist ein Teil seines Körpers, und es hat also eine gegenseitige Berührung stattgefunden.
    Also die Tibbu blieben stehen und wagten sich nicht weiter zu uns heran. Der Scheik rief ihnen gebieterisch zu:
    „Weicht zurück! Solange diese beiden Männer sich im Bereich unseres Duars befinden, dürft ihr sie nicht antasten, denn ihr seid unsere Gäste, und sie sind es auch!“
    Sie wendeten sich ab und entfernten sich, indem sie nach ihrer Zeltreihe gingen, wo ich ihren Anführer liegen sah, niedergeworfen von meinem Kolbenstoß; er war noch nicht wieder zu sich gekommen. Sie hoben ihn auf, um ihn nach seinem Zelt zu schaffen, wohl schwerlich unter menschenfreundlichen Wünschen für meine Person!
    Jetzt wendete sich der Scheik wieder zu mir und Ali und erklärte uns:
    „Diese Tibbu kamen heut in unser Duar, um Wasser zu nehmen und bei uns zu lagern. Sie sind Räuber, wie wir vermuten, und gehen uns nichts an. Willst du das glauben, Herr?“
    „Ich glaube es“, antwortete ich.
    „Wir sind Nachkommen der alten, berühmten Uëlad Sliman“, fuhr er fort. „Da wir keine Reichtümer besitzen, brauchen wir diese Räuber nicht zu fürchten; du aber scheinst wohlhabend zu sein. Nimm dich in acht!“
    „Auch ich bin nicht reich; ich trage keine Schätze bei mir, würde mich aber auf keinen Fall vor ihnen fürchten, wie du wohl gesehen hast.“
    „Ich habe es gesehen. Du hast klug, vorsichtig und kraftvoll gehandelt,

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