42 - Die Trommeln von Scorpio
sich lohnt, ein gottgefälliges Leben zu führen, wenn im Paradies solche Banketts veranstaltet werden.
Die berühmten silbernen Trompeten Lohs erschallten.
Die Vorhänge am gegenüberliegenden Ende hoben sich, und Königin Satra erschien.
Sie war erstaunlich.
Die schlicht geschnittenen Gewänder waren aus kostbarstem Gewebe geschneidert. Der Schmuck funkelte zurückhaltend. Das Haar mit den ausgeprägten Geheimratsecken fiel ihr in der Mitte noch immer in die Stirn. Es war ganz weiß. Ihr Gesicht war rund, hatte faltige Wangen und Grübchen und einen kleinen, roten Mund, aus dessen linker Ecke die Spitze eines Zahns hervorlugte, der etwas schräg gewachsen war. Ihre dunklen und strahlenden Augen schienen ein Gefühl zu nähren, das ich nicht ergründen konnte. Sie hätte genausogut eine der Hausfrauen sein können, die man auf dem Markt mit einem Korb am Arm trifft. Ihre Arme waren rosig und dicklich, die Hände sehr zierlich, die Fingernägel poliert. Ihr ganzes Benehmen war sanft, ernst und bescheiden.
Das sollte eine der berühmten Königinnen der Schmerzen von Loh sein?
Licria beschwerte sich sofort in wilder Wut; die Worte quollen in einem aufgeregten Schwall aus ihr heraus. »Großmutter! Dieser Mann ... hat mich beschmutzt ... ekelhafter ... gehört ausgepeitscht ... in die Todesdschungel von Sichaz geschickt ... gefoltert ... Ich lasse nicht zu ...«
»Beherrsche dich, Kind!«
Die Stimme der Königin klang mild, weich und ein bißchen atemlos. Mir entging jedoch nicht die Härte geschliffenen Stahls, der in den Worten lag.
Milsi sagte: »O Majestrix, es hat ein schreckliches Mißverständnis gegeben!«
»Ja«, bestätigte Sasha. »Dies ist unser geschätzter Kamerad Dray; er würde niemals die Ehre einer Dame beleidigen.«
»Er ist Drajak der Schnelle, Drajak der Beschmutzer!«
»Falls du dich nicht zusammennehmen kannst, Licria«, sagte die Königin mit der sanften Stimme, die wie ein Rapier zustach, »bis ich dem ernsten Mißverständnis auf den Grund gegangen bin, solltest du lieber in dein Zelt zurückkehren.«
Licria keuchte. Sie wurde blaß. Und hielt den Mund.
Das war Macht. So redete eine Königin der Schmerzen!
»Nun, Milsi, meine Liebe, erzähl es mir.«
»Also, Majestrix, es hat sich folgendermaßen abgespielt.« Milsi erzählte die Geschichte, die wir fünf uns ausgedacht hatten. Natürlich wäre die Idee eines Herrschers von Paz zu Satras Zeiten eine lächerliche Vorstellung gewesen. Wenn schon jemand über ganz Paz herrschte, dann das Reich von Loh. Zweifellos. Pandahem stand als Teil des Reiches unter der Herrschaft Walfargs. Milsi, Königin von Croxdrin, mußte Satra völlig unbekannt sein. Ebenso wie jeder Herrscher Vallias als potentieller Feind des lohischen Reiches gelten würde. Havilfar hatte Loh Widerstand entgegengesetzt und etwa zweihundert Perioden nach Königin Satra dazu beigetragen, das Reich zu stürzen. Auch Hyrklana hatte sich zur Wehr gesetzt. Nun unterschied sich unsere Ausrüstung von der dieser Leute, also dachten wir, daß wir behaupten konnten, von überall herzukommen, sei es Donengil oder Balintol, und daß man es uns glaubte. Am Ende beschlossen wir, bei der Wahrheit zu bleiben. Wir gaben stolz zu, daß Vallia unsere Heimat war.
Natürlich gehörten der lange Inch und Sasha aus Ng'groga im Südosten und Seg aus Erthydrin im Norden dem Namen nach zu Königin Satras Untertanen. Die Institution der Söldner schloß in ihren Dogmen auch die Vorstellung ein, daß sich ein Mensch in einem angenommenen Land seiner Wahl niederlassen konnte. Wir waren Vallianer.
Als das Bankett seinen Lauf nahm, aß Licria sehr wenig. Die Prinzessin stocherte in ihrem Essen herum, zerteilte es wild und blickte mich auf eine Weise an, die man nur als haßerfüllt bezeichnen konnte. In Vallia besaßen wir alle Güter und Titel, und wir benutzen sie. Ich vermutete, die kleine Königin, die einen so sanften Eindruck machte, versuchte uns Informationen über Vallia zu entlocken, die sie dann in der Zukunft nutzen konnte – für kriegerische Zwecke.
Es gelang uns, ihr mit viel Diplomatie zu versichern, daß Vallia keinerlei Eroberungsabsichten hegte. Die Aufgabe, die Insel zu halten, reichte aus. Wein wurde herumgereicht, und die Königin entspannte sich leicht. Wir unterhielten uns höflich über dieses und jenes, und bald erklärte die Königin Dinge, die mich schon immer verblüfft hatten.
»Königin der Schmerzen?« wiederholte sie in einem Ton, dem der Wein nur ganz leicht
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