42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
vielleicht im Verlauf des Verhörs erfahren.“
„Ein Verhör! Das klingt ja, als ob ich mich in Untersuchung befände!“
„Das klingt nicht nur so, sondern das ist sogar wirklich so“, antwortete das Männchen, ihm mit den Augen schadenfroh zublinzelnd. „Übrigens glaubt nur nicht, daß Ihr hier seid, um Fragen zu stellen. Ich bin es, welcher fragt, und Ihr seid es, welcher zu antworten hat! Also Ihr seid Arzt?“
„Ja“, antwortete Sternau, welcher sich vornahm, sich möglichst fügsam zu stellen.
„Was für ein Arzt?“
„Wie meint Ihr das?“
„Für Vieh oder für Menschen!“
„Für Menschen.“
„Für welche Krankheiten?“
„Für alle“, antwortete Sternau, den diese Fragen beinahe belustigten.
„Wie alt seid Ihr?“
„Sechsundzwanzig.“
„Seid Ihr bereits einmal bestraft?“
„Nein.“
„Ist das auch wahr?“
„Ja – außer –“
„Außer? Nun, heraus damit!“
„Außer einer kleinen Ohrfeige, die ich von meiner Mama bekam, als ich noch ein Knabe war.“
Der Corregidor fuhr empor.
„Mann, denkt Ihr etwa, Euren Spaß mit mir treiben zu können? Ich lasse Euch auf der Stelle krumm schließen!“
„Krumm schließen? Pah!“ antwortete Sternau, der die Antwort wirklich nur zum Scherz gegeben hatte.
„Pah? Was heißt pah! Antwortet! Das übrige wird sich finden! Seid Ihr verheiratet?“
„Nein.“
„Auch nicht gewesen?“
„Nein.“
„Habt Ihr Vermögen?“
„Nein.“
„Ah! Wirklich nicht?“ fragte er lauernd.
„Nein.“
„Wie groß ist Eure Barschaft?“
„Vielleicht dreißig Duros.“
„Gebt einmal her.“ Sternau gab seine Börse hin, und der Corregidor zählte ihren Inhalt durch; dann notierte er die Summe, wie er auch jede Antwort Sternaus aufgeschrieben hatte.
„Wo war in der letzten Zeit Euer Aufenthalt?“ fragte er dann.
„Auf Rodriganda.“
„Und vorher?“
„In Paris.“
„Warum bliebt Ihr nicht in Paris?“
„Weil ich nach Rodriganda gerufen wurde.“
„Wozu?“
„Um Don Emanuel in seiner Krankheit zu behandeln.“
„Habt Ihr ihn behandelt?“
„Ja.“
„Dürft Ihr das?“
„Wer sollte es mir wehren?“
„Ich!“ sagte der kleine Mann mit Nachdruck. „Wart Ihr als Arzt in Rodriganda angestellt?“
„Nein.“
„Hattet Ihr eine Bewilligung?“
„Nein.“
„In Spanien ein Examen bestanden?“
„Nein.“
„In Spanien Einkommensteuer bezahlt?“
„Nein.“
„Und dennoch kuriert, mediziniert und Kranke behandelt! Ah, das erste der Verbrechen ist bereits beim ersten Verhör zur Evidenz erwiesen. Ihr könnt jetzt abtreten.“
„Ah, Señor, Ihr sprecht vom ersten Verhör?“
„Ja.“
„Soll es vielleicht mehrere geben?“
„Versteht sich!“
„Wie viele?“
„Viele, sehr viele!“
„Und ich! Wo bleibe ich einstweilen?“
„Bleiben? Närrische Frage! Ihr bleibt hier bei mir!“
„Bei Euch? Wo ist das?“
„Im Korridor zwei, Nummer vier. Das ist bestimmt und ausgemacht.“
„Soll das etwa heißen, daß ich Gefangener bin?“
„Versteht sich!“ blinzelte der Kleine.
„Aus welchem Grund?“ fragte Sternau, jetzt wirklich erregt.
„Das werdet Ihr später erfahren.“
„Auf wessen Anzeige oder Anklage?“
„Auch das werdet Ihr erfahren.“
„Alle Teufel, Señor, ich habe das Recht, eine Antwort zu fordern!“ brauste Sternau auf.
Das Männchen krümmte sich vor Vergnügen noch mehr zusammen und antwortete blinzelnd:
„Ja, das Recht habt Ihr; aber ich hingegen habe das Recht, die Antwort zu verweigern.“
„Ihr habt gehört und auch aufgeschrieben, daß ich ein Deutscher bin –“
„Richtig, sehr richtig!“ –
„Ich verlange, mit dem deutschen Konsul zu sprechen!“
„Gut, gut! Werde es besorgen!“
„Sofort, Señor!“
„Schön! Schön!“
Er blinzelte den Gefangenen höchst vergnügt an und gab mit einer Klingel ein Zeichen. Es erschien ein finsterer robuster Kerl, welcher sich Sternau sehr genau betrachtete. Er hatte eine Art Uniform an.
„Dieser Señor will mit dem deutschen Konsul sprechen“, sagte der Corregidor zu ihm. „Führe ihn zum Konsul! Aber schnell, schnell!“
Der Kerl grinste wie ein Walroß, zeigte nach der Tür und sagte:
„Vorwärts! Marsch!“
Das war dem Arzt denn doch zu kurz und bündig. Er sah sich den Mann an, besann sich jedoch eines Besseren und wandte sich an den Corregidor: „Darf ich um meine Börse bitten, Señor?“
„Ja“, blinzelte der Gefragte.
„Also, bitte!“
„Ja, bitten dürft Ihr, aber
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