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42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

Titel: 42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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glaube, der Kapitän nannte ihn einmal Ferdinand. Er segelte mit uns um das Kap herum und an der Küste von Ostafrika hinauf bis Zejla, wo wir ihn ausschifften und nach Härrär verkauften.“
    „Einen Weißen?“
    „Ja.“
    „Aber das ist fürchterlich!“
    „Nicht fürchterlicher, als wenn man einen Schwarzen verkauft. Mensch ist Mensch. Übrigens konnte ich nichts dagegen tun, obgleich das Ding mir später viele Gewissensbisse gemacht hat. Aber bei unserer Heimkehr wurde der Kapitän abgehalten, und ich mußte an seiner Stelle nach Rodriganda gehen, um ihm zu melden, daß jener Mexikaner aufgehoben sei. Er hatte gewollt, daß er getötet werden oder am Fieber sterben sollte, und nahm mich fürchterlich an. Mir lief auch ein Wort über den Mund, und so schlug er nach mir. Natürlich gab ich ihm einen guten Matrosenhieb retour. Er stürzte wie ein Sack zur Erde, und ich ging fort. Am anderen Tag kam er nach Barcelona an Bord, und die Sache schien vergessen zu sein. Einen Tag später aber gab mir der Kapitän einen Brief, den ich dem Corregidor bringen und auf Antwort warten sollte. Ich wurde sehr freundlich aufgenommen und dann dem Schließer übergeben, der mich in diese Zelle brachte. Ich habe sie nicht wieder verlassen, denn eines Tages kam der Corregidor an die offene Klappe und verkündete mir mein Urteil. Dies, Señor, ist mein Schicksal!“
    Er hatte in jenem leichten Ton gesprochen, welcher Matrosen selbst bei ernsten Veranlassungen eigen zu sein pflegt. Jetzt schwieg er und legte sich ermüdet nieder. Sternau ahnte nicht, wie nötig ihm einst die Erinnerung an diese Erzählung sein werde.
    Jaques Garbilot wurde jetzt von Tag zu Tag schwächer, und mit seiner Schwäche wuchsen auch der Ernst und seine Reue über sein vergangenes Leben. Er gedachte der Ewigkeit und wünschte, seine Rechnung mit Gott vorzunehmen.
    Der Schließer sah, daß er sich nicht mehr erheben konnte, und, was er noch niemals getan hatte, er sprach einige Worte mit ihm. Ja, er versprach sogar, ihm einen Priester zu senden.
    So verging noch einige Zeit, und das Weihnachtsfest kam heran.
    Es war der heilige Christabend. Garbilot lag dem Verlöschen nahe auf seiner Matratze, und Sternau saß bei ihm, um ihn zu trösten und zu beruhigen. Da hörten beide das Geläute der Kirchenglocken. Es brach die Stunde an, an welcher sich diejenigen, welche sich lieben, beschenken. Sternau dachte der Seinen; er dachte an Rodriganda und – er weinte, weinte wie ein Kind.
    Da rasselte draußen der Schlüssel im Schloß; die Tür öffnete sich, und der Schließer trat ein, hinter ihm ein Mönch.
    „Beichte!“ sagte er zu dem Sterbenden. Dann drehte er sich zu Sternau herum und gebot ihm: „Vorwärts! Marsch!“ indem er nach der Tür zeigte.
    Da erhob sich Garbilot mühsam und bat:
    „Laßt mir ihn da! Er ist mein Trost gewesen bisher; er kann auch meine Beichte hören!“
    Der Schließer sah den Mönch fragend an; dieser nickte zustimmend mit dem Kopf, und so gab er schweigend seine Einwilligung, indem er ging und die Zelle verschloß.
    Der Mönch setzte sich auf den Rand der Matratze nieder und betrachtete die beiden Gefangenen. Er konnte dies, da der Schließer die Laterne zurückgelassen hatte. Dann begann er mit dumpfer Stimme:
    „Ich verkünde große Freude.
   Die Euch widerfahren ist:
Denn geboren wurde heute
   Euer Heiland, Jesu Christ!“
    Bei dem Wort ‚Heiland‘ warf er einen bedeutungsvollen Blick nach der Tür, so daß Sternau eine Ahnung bekam, daß er nicht nur allein um des Sterbenden willen hier sei. Dann fuhr er fort:
    „Das Volk, so im Finsteren wandelt, siehet ein großes Licht, und über die da wohnen im finsteren Land, scheinet es helle!“
    Dabei warf er, von Garbilot unbemerkt, einen Gegenstand zwischen die ausgestreckten Füße Sternaus auf dessen Matratze. Dieser griff zu und fühlte – einen großen, schweren Schlüssel, gewiß den Torschlüssel. Ein Gefühl unendlicher Freude durchzuckte ihn, aber er beherrschte sich, denn der Blick des Mönchs hatte ihm gesagt, daß sie beobachtet würden. Nun fuhr der Mönch fort, über die Bedeutung des heutigen Tages zu sprechen, er hörte dann die Beichte des Sterbenden und gab ihm die Absolution.
    Ein tiefer Frieden breitete sich über Garbilots abgemagertes Gesicht.
    „Ich lebe keine Stunde mehr; Gott sei Dank!“ flüsterte er. „Bleibt bis dahin bei mir, frommer Vater, und laßt auch meinen Freund nicht fort!“
    „Wir bleiben“, antwortete der Mönch, indem er

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