44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens
sich nunmehr das eine Ende des Lassos um den Leib, legte den übrigen Teil in Rollen und nahm diese in die rechte Hand. Mit der Linken lenkte er das Pferd.
Sobald sich dieses in Bewegung setzen wollte, stellte sich ihm der mutige Bock entgegen und stieß mit den Hörnern nach ihm.
„Der Bock weiß, was losgehen soll, er wehrt sich“, sagte Sternau.
Das Pony schlug mit den Vorderhufen nach ihm; aber der Bock wich nicht. „Drüber weg!“ rief Sternau.
„Hallo!“ antwortete der Knabe.
Er nahm das Pferdchen hoch, schnalzte mit der Zunge und schnellte im nächsten Augenblick über den Bock hinweg.
„Mein Gott, dieser kühne Sprung! Welch ein Knabe!“
Dies sagte hinter dem Fenster die Großherzogin zu Rosa, die neben ihr stand. „Ja, es ist ein außerordentliches Kind. Es leistet wirklich bereits mehr als mancher Erwachsene“, antwortete die Spanierin.
„Sehen Sie, wie er jetzt rund um den Hof springt! Welche Karriere, ventre-á-terre!“
„Und ohne Sattel!“ sagte eine Hofdame.
„Ohne Bügel!“ fügte eine andere hinzu.
Der Knabe flog im rasenden Galopp um den Hof. Er saß frei auf dem Pferd. Jetzt zog er die Füße empor und kniete auf dem Rücken des Ponys.
„Hallo, Ludewig!“ rief er.
„Ja“, antwortete dieser.
„Nimm die Peitsche.“ Der Bursche, der bei diesen Übungen seine Obliegenheiten kannte, hatte die Peitsche bereits in der Hand. Jetzt trat er vor und trieb den Bock von der Stelle. Das Tier wollte sich zuerst zur Gegenwehr stellen, gehorchte aber doch und flog bald im Galopp davon – Kurt hinter ihm her. Der Bock wußte, daß er mit dem Lasso gefangen werden sollte. Er strengte alle seine Kräfte an, um zu entkommen. Er rannte nicht in kontinuierlichem Lauf herum, sondern im Zickzack durch den Hof, machte Finten und Seitensprünge, aber es half ihm alles nichts – der gewandte Knabe war auf seinem Pferdchen immer hinter ihm her.
„Exquisit!“ rief der Großherzog.
„Er reitet wirklich meisterhaft“, meinte einer der erstaunten Hofherren.
Auch droben hinter den Fenstern hörte man ein Beifallsklatschen von zarten Händen. Der Junge blickte empor und warf während eines Seitensprunges, den er meisterlich ausführte, eine Kußhand hinauf.
„Er hätte den Bock schon lange“, bemerkte Sternau.
„Warum nimmt er ihn nicht?“
„Er wartet mein Kommando ab; das macht es ihm schwieriger.“
„So geben Sie es.“
„Achtung!“ rief jetzt Sternau.
Der Knabe, der bis dahin noch immer gekniet hatte, setzte sich nunmehr schnell wieder zurecht und ließ die Schleifen des Lassos um seinen Kopf schwingen.
„Jetzt!“ kommandierte Sternau.
„Hallo!“ rief da Kurt begeistert.
Im selben Augenblick flog der Lasso, rollten sich die Schleifen auf und warf sich die Schlinge um den Kopf des Bockes. Und dann riß der Knabe sein Pferd in die Höhe und herum; es war geschult; es stand fest. Der Bock aber tat noch einige Sprünge, wobei der Lasso ablief, dann zog sich die Schlinge zusammen, und der Bock stürzte zur Erde.
„Bravo!“ rief es rund im Kreise.
„Bravo!“ erschallte es auch von oben herab.
„Sie sind wirklich ein ausgezeichneter Lehrer“, sagte der Großherzog zu Sternau.
„O“, antwortete dieser, „bei einem solchen Schüler ist der Unterricht eine Lust.“
„Er wird einmal ein ausgezeichneter Mensch.“
„Ich bin überzeugt davon.“
„Aber dieser Lasso ist eine fürchterliche Waffe.“
„In der Hand des Geübten allerdings.“
„Kann man ihr nicht entkommen?“
„O doch, aber es gehört ein außerordentlich scharfes Auge dazu. Man muß gerade in dem Augenblick in dem die Schlinge über dem Kopf schwebt, Abwehr treffen, keinen Moment früher oder später.“
„Ist dies möglich?“
„Darf ich es Ew. Hoheit zeigen?“
„Ich bitte.“
„Ich hoffe, daß es gehen wird, obgleich ich dieses Experiment mit Kurt noch nicht vorgenommen habe.“
Kurt war abgestiegen und hatte den Bock, der zu ersticken drohte, von der Schlinge befreit. Jetzt kam er langsam herbei.
„War es so recht, Hoheit?“ fragte er.
„Sehr, mein Junge. Das hatte ich nicht von dir erwartet.“
„O, eine solche Schlinge ist hübsch; man fängt alles mit ihr.“
„Auch mich?“ fragte Sternau lächelnd.
„Nein! Sie reiten besser als ich. Sie würden sich immer in einer solchen Entfernung halten, daß mein Lasso zu kurz ist, Sie zu erreichen.“
„Nein, das würde ich nicht tun.“
„O, dann fange ich Sie!“
„Wirklich?“
„Ganz sicher!“ versetzte der
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