45 - Waldröschen 04 - Verschollen
feindselige Aufmerksamkeit auf Kurt, welcher so gleichmütig dastand, als habe er mit dem Vorgang ganz und gar nichts zu schaffen. Der Oberst sah jetzt die Zeit gekommen, die Überlegenheit seines Ranges geltend zu machen. Er schritt langsam auf Kurt zu und sagte in drohendem Ton:
„Mein Herr, Sie haben sich an dem Leutnant von Ravenow vergriffen –“
„Die anwesenden Herren können mir sämtlich bezeugen, daß es ein Akt der Gegenwehr war“, fiel Helmers schnell ein. „Er wagte es, einem Offizier eine Ohrfeige anzubieten, er warf sich auf mich, er holte zum Schlag aus. Dennoch habe ich ihn geschont, denn es lag in meiner Macht, ihn durch eine Ohrfeige so dienstunfähig zu machen, wie er es mir angedroht hatte.“
„Ich ersuche Sie, mir nicht in das Wort zu fallen, sondern mich aussprechen zu lassen! Ich bin Ihr Vorgesetzter, und Sie haben zu schweigen, wenn ich spreche. Verstehen Sie wohl? Sie verlassen augenblicklich dieses Lokal und begeben sich bis auf weiteres nach Ihrer Wohnung auf Zimmerarrest.“
Die Gesichter der Anwesenden heiterten sich auf. Das war ganz aus ihrem Herzen gesprochen. Aber sie hatten den Leutnant trotz allem doch noch nicht kennengelernt. Er verbeugte sich höflich und antwortete in gemessenem Ton:
„Ich bitte um Entschuldigung, Herr Baron! Morgen würde ich Ihrem Befehl augenblicklich Gehorsam leisten, da ich aber erst zu morgen früh zum Antritt kommandiert bin, so hat derselbe heute noch keine Kraft für mich. Ich meine, man soll sich durch den Zorn nie zu einer Übereilung hinreißen lassen –“
„Herr Helmers –“, drohte der Oberst.
Kurt aber fuhr unbeirrt fort:
„Von einem Arrest kann also keine Rede sein, doch Ihrem Wunsch, das Lokal zu verlassen, leiste ich gern Folge, da ich bisher nur gewohnt gewesen bin, an solchen Orten zu verkehren, an denen man nicht Gefahr läuft, schuldlos verleugnet oder wohl gar geohrfeigt zu werden. Dies pflegt oft nur in Tingeltangels und ähnlichen Lokalen zu geschehen. Gute Nacht, meine Herren!“
Diese Zurechtweisung rief zahlreiche Ausrufe des Grimmes hervor. Er aber kehrte sich nicht daran, schnallte seinen Säbel um, setzte den Tschako auf und schritt in stolzer Haltung zur Tür hinaus.
„Schrecklich!“ rief einer hinter ihm her.
„Fürchterlich!“ der andere.
„Noch niemals dagewesen, auf Ehre!“ der dritte.
„Dieser Knabe ist ein wahrer Teufel!“ meinte der viel erwähnte Major.
„Pah!“ schnauzte der Oberst. „Wir werden ihm seine Teufeleien austreiben! Er und mich fordern! Hat man so etwas gehört!“
Sie alle hatten gar nicht bemerkt, daß Leutnant Platen dem Fortgehenden gefolgt war. Draußen unter der Tür holte er ihn ein, ergriff ihn am Arm und sagte mit gedämpfter Stimme:
„Leutnant Helmers, warten Sie einen Augenblick! Es gab eine allgemeine Verschwörung gegen Sie. Wollen Sie mir glauben, wenn ich Ihnen versichere, daß wenigstens ich keinen Teil an derselben habe?“
„Ich glaube Ihnen, denn Sie haben es bewiesen“, antwortete Kurt, indem er ihm die Hand entgegenstreckte. „Nehmen Sie meinen Herzensdank. Ich will gestehen, daß ich auf ein ablehnendes Verhalten, aber keineswegs auf solche Ungezogenheiten und Roheiten gefaßt war. Ich beklage die Ereignisse des Abends sehr.“
„Sie haben sich wacker gewehrt, fast zu tapfer. Ich fürchte, Sie haben sich unmöglich gemacht.“
„Das wird man ja sehen. Ich habe niemals das gekannt, was andere Furcht nennen. Ich achte die Vorrechte des Adels, sie sind durch die Jahrhunderte geheiligt, aber ich trete der Anschauung entgegen, welche den Adel als qualitativ über dem Bürgertum stehend erklärt. Der Wert des Menschen ist gleich seinem moralischen Gewicht.“
„Ich gebe Ihnen recht, obgleich ich von Adel bin. Der Oberst hatte Ihre Zurechtweisung verdient, freilich ahnte kein Mensch, daß Sie es wagen würden, eine so unerhörte Freimütigkeit zu entwickeln. Was aber Ravenow betrifft, so muß ich Sie doch fragen, ob Sie dieses Mädchen kennen.“
„Sehr genau. Diese Damen haben mir das Ereignis erzählt.“
„Ob aber wahrheitsgetreu!“
„Beide lügen nie. Ihnen allein will ich übrigens sagen, daß die Dame, welcher die Wette gilt, keineswegs eine Kutscherstochter ist. Wollen Sie mir einstweilen Diskretion versprechen?“
„Gewiß!“
„Nun, sie ist die Enkelin des Herzogs von Olsunna. Sie sehen also, daß ich mich keineswegs zu schämen brauche, wenn ich ihr intimer Freund bin.“
„Alle Teufel! Wie kommt aber dieser
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