45 - Waldröschen 04 - Verschollen
Würde halten, Ihre Prahlereien zu beachten, wenn nicht die betreffende junge Dame eine sehr liebe Freundin von mir wäre, deren Ruf zu schützen meine Pflicht und Schuldigkeit ist.“
„Hört!“ rief Ravenow. „Eine Kutscherstochter seine intime Freundin! Und der drängt sich unter uns ein! Der will ein Gardeoffizier sein!“
Die Anwesenden hatten sich abermals alle erhoben. Sie bemerkten, daß es abermals zu einer Szene kommen müsse. Das war endlich einmal ein Abend, von welchem man noch später erzählen konnte! Jetzt aber sprechen wollte keiner, das mußte man den beiden allein überlassen. Der fremde, bürgerliche Eindringling hatte dem Oberst Stand gehalten, es stand zu hoffen, daß Ravenow ihm Raison lehren werde.
Kurt allein war sitzengeblieben. Er antwortete kaltblütig:
„Ich habe bereits bemerkt, daß ich mich nicht eingedrängt habe, sondern einem höheren Willen gefolgt bin, und muß übrigens fragen, wer ehrenwerter ist, der Freund einer Kutscherstochter oder der Verführer derselben. Freilich sehe ich mich veranlaßt, dieses letztere Wort einigermaßen zu motivieren. Herr von Ravenow hatte sich zwar in den Wagen mit göttlicher Unverschämtheit eingedrängt, doch ist es ihm nicht gelungen, die Damen nach Hause zu begleiten, denn die Damen haben ihn mit Hilfe eines Schutzmannes an die Luft gesetzt.“
Ein „Ah!“ des Schreckens ging durch das Zimmer. Das war stark ausgedrückt; jetzt mußte die Katastrophe eintreten.
Ravenow war erbleicht; es ließ sich nicht sagen, ob vor Wut oder vor Schreck, daß sein Gegner alles wußte; aber die Wut gewann die Oberhand. Er trat bis auf zwei Schritte an den Stuhl, auf welchem Kurt noch immer sorglos saß, heran und rief:
„Wovon sprechen Sie! Von Unverschämtheit? Von an die Luft setzen? Gar noch von einem Schutzmann? Wollen Sie das widerrufen? Sofort!“
„Fällt mir nicht ein!“ klang es ihm kalt entgegen. „Ich sagte die volle Wahrheit, und die widerruft man nicht.“
Da hob sich die Gestalt Ravenows drohend empor. Man sah, daß er sich im nächsten Augenblick auf seinen Gegner stürzen werde, und doch blieb dieser, scheinbar ganz und gar unvorsichtigerweise, auf seinem Stuhl sitzen.
„Ich befehle Ihnen, augenblicklich zu widerrufen und mich um Verzeihung zu bitten!“ keuchte es aus der Brust des aufgeregten Offiziers.
„Papperlapapp! Was hätten Sie, gerade Sie mir zu befehlen!“ klang es vernichtend aus Kurts Mund.
„Oh, mehr als Sie denken!“ rief der Wütende, der vor Zorn seiner kaum mehr mächtig war. „Ich befehle Ihnen sogar, aus unserem Korps wieder auszutreten, denn Sie sind unserer nicht würdig. Und wenn Sie dies nicht freiwillig tun, so werde ich Sie zwingen. Wissen Sie überhaupt, wie man jemanden aus der Uniform treibt?“
Trotzdem er seine scheinbare, verteidigungslose Stellung noch immer beibehielt, lächelte Kurt überlegen, indem er antwortete:
„Das weiß jedes Kind. Man gibt ihm einfach eine Ohrfeige, dann ist es ihm unmöglich, weiter zu dienen.“
„Nun gut! Wollen Sie widerrufen, um Verzeihung bitten und hier uns allen versprechen, auszutreten?“
„Lächerlich! Treiben Sie keine Faxen!“
„Nun, so nehmen Sie die Ohrfeige!“
Bei diesen Worten warf er sich auf Kurt und holte zum Schlag aus. Aber obgleich seine Bewegungen mit Blitzesschnelligkeit ausgeführt waren, Kurt war doch noch schneller. Er parierte den entehrenden Schlag mit dem linken Arm, faßte im nächsten Augenblick Ravenow hüben und drüben bei der Taille, hob ihn hoch über sich empor und warf ihn mit gewaltigem Schwung über das Billard hinüber, so daß er mit einem lauten Krach drüben besinnungslos zur Erde stürzte. Dies hatte er von Doktor Sternau, seinem starken Lehrmeister gelernt.
Niemand hatte dem jungen Mann eine solche Stärke und Gewandtheit zugetraut. Einige Augenblicke lang herrschte eine unbeschreibliche Verwirrung im Zimmer. Einige standen ganz bewegungslos vor Schreck und starrten auf den Sieger, der vorher eine solche geistige und nun auch eine solche körperliche Überlegenheit entwickelt hatte. Andere eilten zu Ravenow, welcher wie tot am Boden lag. Zum Glück war ein Militärarzt mit anwesend, welcher den Bewußtlosen sofort untersuchte.
„Er hat nichts gebrochen und ist auch innerlich unverletzt, wie es scheint“, sagte er dann. „Er wird bald erwachen und einige blaue Flecke davontragen.“
Diese Besorgnis war also gehoben, und nun wendete sich, nachdem man Ravenow auf das Sofa gelegt hatte, die finstere,
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