45 - Waldröschen 04 - Verschollen
ausschließen, aber man soll Sie dennoch sehen. Legen Sie Ihre Dekorationen an. Sie werden mit ihnen manchen Ihrer Feinde ausstechen.“
Kurt hatte während dieser langen Rede innig gerührt dagestanden. Sein Landesfürst veranstaltete seinetwegen, eines armen Schiffersohnes wegen, eine glänzende Soiree und der König von Preußen stellte zu diesem Zweck ein Schloß zur Verfügung. Die Tränen standen ihm im Auge. Er zog die Hand des Großherzogs an seine Lippen und stammelte:
„Hoheit, ich weiß nicht, wie ich –“
„Gut, mein lieber Leutnant“, unterbrach ihn der Fürst. „Ich kenne Ihre Gesinnungen, auch ohne daß Sie mich deren noch extra versichern. Der Zweck meines Besuches ist erfüllt, und so darf ich mich verabschieden.“
Als er sich entfernt hatte, erfuhr Kurt, daß auch Olsunna mit all den Seinen nebst Sir Lindsay und Amy eingeladen seien, dann begab er sich auf sein Zimmer, um sich durch einen tüchtigen Schlaf auf die Anstrengungen des morgigen Tages vorzubereiten.
Er war noch nicht lange dort, so klopfte es mit leisem Finger an. Wer war das? Er hatte ja niemanden mehr zu erwarten. Er erschrak freudig, als auf seinen Ruf – Röschen eintrat.
„Du wunderst dich?“ fragte sie schüchtern. „Ich habe noch mit dir zu sprechen.“
„Du, Röschen?“ sagte er. „Komm, setz dich!“
„Ja, das werde ich tun, lieber Kurt. Allerdings soll eine junge Dame keinen jungen Herrn so spät und so allein besuchen, aber wir sind ja ganz wie Geschwister, nicht wahr?“
„Freilich“, sagte er, um alle ihre Zweifel zu zerstreuen. „Weiß Mama, daß du hier bist?“
„Natürlich weiß sie es!“
„Und sie hat dir erlaubt, zu mir zu gehen?“
„Ganz gern, ja, sie hat mich sogar darum gebeten. Es ist ja etwas sehr wichtiges, um was ich dich fragen will.“
Wie glücklich, wie unendlich selig fühlte er sich. Dieses herrliche Wesen kam zu so später Abendstunde vertrauensvoll zu ihm. Er war kein Kind mehr, er wußte, daß er sie liebte, liebte mit der ganzen Glut seines Herzens, mit jedem Gedanken seiner Seele, mit jedem Atemzug seines Mundes. Aber er kannte auch den Abstand zwischen ihr und ihm; seine Liebe war hoffnungslos, aber nicht unglücklich, denn sie war seelisch, war rein, war frei von jedem Eigennutz. Jetzt saß er neben ihr auf dem kleinen Sofa und sah ihr erwartungsvoll in das schöne Angesicht.
„Nun, was hast du mich zu fragen, Röschen?“ sagte er.
„Gib mir erst deine Hand, Kurt. So! Weißt du denn, daß wir uns immer lieb gehabt haben?“
Er erbebte bei dieser Frage im tiefsten Inneren, es ergriff ihn ein unnennbares Etwas, so daß er nicht mit Worten antworten, sondern nur nicken konnte.
„Und daß wir uns noch jetzt lieb haben?“
„Ich dich, ja“, stieß er hervor.
„Du mich! Ich weiß es! Du würdest für mich sterben, wenn es nötig wäre. Aber meinst du, daß ich dich nicht auch noch immer so gern habe wie früher? Siehe, lieber Kurt, wen man lieb hat, den kennt man genau, und wenn man auch nicht stets alles weiß, so ahnt man es doch. Ich ahne alle Gedanken, die du hast, wenn ich bei dir bin, und wenn meinem Auge etwas verborgen bleiben sollte, mein Herz sieht es doch. Willst du das glauben?“
Das Herz wollte ihm vor Seligkeit zerspringen, und er mußte sich sehr zusammennehmen, um ein ruhiges „Ja“ antworten zu können.
„Nun“, fuhr sie in ihrem herzlichen Ton fort, „als du aus dem Kasino kamst, da war dein Auge so tief und durchsichtig, und ganz, ganz unten da zitterte es auf dem dunklen Grund. Ich wußte sogleich, daß dir ein großes Weh widerfahren war. Du bist im Kasino bös bewillkommnet worden, du bist nicht der Mann, dies zu dulden. Da hat es schlimmes Zerwürfnis gegeben, und ihr Offiziere seid mit den Waffen sogleich zur Hand. Komm her, lieber Kurt, und blicke mir einmal gerade in die Augen.“
Sie legte ihm die feinen, weißen Händchen auf beide Achseln und zog ihn näher zu sich heran, um ihm besser in das Auge sehen zu können. Ihr würziger Odem wehte ihm entgegen, wie ein Hauch aus Mohammeds Paradies; er fühlte die Lebenswärme, welche ihr schönes Angesicht ausstrahlte, ihre Lippen schwollen ihm entgegen, er mußte sich alle Gewalt antun, um sich zu beherrschen. Indem ihm dieses gelang, war er ein größerer Held als vorhin im Kasino, wo er den Obersten gedemütigt und Ravenow niedergeschmettert hatte.
Ihr forschender Blick senkte sich in den seinigen eine ganze, volle Minute lang, dann ließ sie ihre Hände wieder sinken und
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