47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile
wie? Wenn wir nur Boote hätten.“
„Leider haben wir keine.“
„Meint ihr, daß wir uns Flöße bauen?“
Cortejo sann ein wenig nach und sagte dann:
„Das ist nicht vorteilhaft. Flöße sind schlecht zu lenken. O, könnte ich sehen, dann wären diese Dampfer und Boote in einer Stunde unser.“
„Wohl schwerlich, Señor!“
„Warum nicht?“
„Wir haben keine Boote und sollen auch keine Flöße bauen!“
„Ganz richtig! Aber wer hindert uns denn, hinüberzuschwimmen?“
„Das ist wahr. Aber nicht alle können schwimmen.“
„Ist das notwendig? Wächst hier nicht Holz und Schilf genug? Wenn sich jeder ein tüchtiges Bündel macht, auf welches er sich mit dem Oberkörper legen kann, so möcht ich den sehen, der nicht hinüberkäme.“
„Aber das Pulver wird naß.“
„Nein, denn die Büchsen bleiben zurück. Wenn jeder seine Machete mitnimmt, so genügt es. Kommen wir einzeln angeschwommen, so werden wir nicht bemerkt. Wir haben die Dampfer und Boote bestiegen, ehe die Bemannung eine Ahnung hat und stoßen sie nieder. Dann wird die Ladung an das Land bugsiert. O, wenn ich sehen und dabeisein könnte!“
„Dabeisein könnt Ihr ja, Señor!“
„Wie denn?“
„Wir richten für Euch ein größeres Floß her und nehmen Euch mit.“
„Ich kann es doch nicht lenken.“
„Das ist nicht nötig. Ihr nehmt Euch zwei oder drei Mann mit.“
„Das ginge. Die Schmerzen haben so ziemlich nachgelassen. Ich hoffe zwar, morgen auf dem anderen Auge wieder sehen zu können, aber wenn wir mit dem Angriff bis dahin warten wollen, kann uns der Fang auch sehr leicht entgehen.“
„Darum stimmen wir Euch bei, so bald wie möglich anzugreifen.“
„Gut“, sagte Cortejo. „Seht ihr noch Lichter auf dem Schiff?“
„Kein einziges.“
„Sie schlafen. Sie denken, die Gefahr ist vorüber. Es sind ganz dumme Menschen. Ihr müßt euch im voraus teilen, daß jeder weiß, welchen Dampfer oder welches Boot er zu besteigen hat. Auch müssen wir das Feuer auslöschen, sonst werden wir von den Reflexen desselben verraten. Geht und haut euch Schilf und Zweige ab, und mir baut ihr ein Floß.“
„Wohin wollt Ihr gerudert sein, Señor?“
„Nach dem vordersten Dampfer. Dort wird die Señorita, welche sich auf demselben befindet, sofort gefesselt. Die Ladung bleibt natürlich bis morgen unberührt.“
„Warum, Señor?“
„Ich muß sehen können.“
Die Leute warfen sich vielsagende Blicke zu und gingen an ihre Arbeit.
Es war jedenfalls von Cortejo eine Dummheit, sich in seinem Zustand nach dem Dampfer flößen zu lassen. Aber er traute seinen Leuten nicht und glaubte, den Inhalt der Boote sicherer zu haben, wenn er persönlich dabei sei, wenn er sich an dem Kampf auch nicht beteiligen könne. –
Als das Boot, mit welchem ‚Geierschnabel‘ vom Dampfer stieß, an das Ufer gerudert wurde, war die ganze Besatzung in größter Spannung, was geschehen werde. Der Lord stand mit seiner Tochter neben dem Steuermann. Dieser letztere kannte diesen Teil des Flusses ziemlich genau und hatte auch sonstige Erfahrungen, welche ihn zu seinem gegenwärtigen Posten befähigten.
„Jetzt steigt er an das Land“, sagte Amy. „Er hat den Gang und die Haltung eines reichen Holzhändlers, der den Gentleman spielen will.“
„Jetzt spricht er mit ihnen. Was mag es sein?“
Man konnte alle Bewegungen der beiden deutlich sehen, wenn es bei der Breite des Stroms auch unmöglich war, ihre Gesichtszüge zu erkennen. Bereits gaben sich die Beobachter der Hoffnung hin, daß der Verdacht ‚Geierschnabels‘ sich nicht bestätigen werde, aber da plötzlich sahen sie den angeblich Verunglückten aufspringen und den verkleideten Jäger umschlingen.
„Um Gottes willen!“ rief Amy. „Er überfällt ihn!“
„Es war also Betrug; eine Kriegslist!“ sagte der Steuermann.
„O“, meinte der Lord. „‚Geierschnabel‘ ist stark. Er wird sich sofort losreißen und nach dem Boot zurückziehen.“
Aber zu seinem Erstaunen geschah dies nicht; vielmehr ließ der Jäger sich ruhig festhalten. Die beiden Bootsleute flohen und aus dem Wald kam eine ganz bedeutende Reiterschar herbei.
„Was ist das?“ fragte Lindsay. „Unsere Ruderer fliehen!“
„Das ist feig!“ rief Amy. „Nun kann er sich nicht retten!“
„Er ist wirklich verloren“, klagte der Steuermann. „Sehen Sie, Mylord, wie man ihn umzingelt! Er hat also doch recht gehabt.“
„Er hat gesagt, daß wir Kartätschen laden sollten, Papa“, sagte Amy eifrig.
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