5 1/2 Wochen
der Nationalstraße N-120 entlang. Ich versuche, die vorbeidonnernden LKW und vorbeizischenden PKW zu ignorieren. Die Wegbeschaffenheit lässt es zu, abzuschalten und meinen Gedanken nachzuhängen. Ruddi läuft fröhlich vor mir her. Es ist zwar wieder sehr warm, aber dank der dünnen Wolkendecke, brennt die Sonne nicht.
Mit jedem Schritt komme ich nicht nur Santiago, sondern auch meiner grundsätzlich positiven Einstellung näher. Noch nie war mir so bewusst, wie tiefgreifend gute Gefühle, Gedanken, Taten und Worte tatsächlich sind. Ich erschaffe meine Realität Augenblick um Augenblick selbst. Gestern habe ich mir ja wieder ein bisschen Abwechslung in meinem Leben gegönnt und bewiesen, dass das auch im negativen Sinne funktioniert. Es bleibt dabei: Es gilt, meine Gefühle und Gedanken zu disziplinieren, wenn ich angenehmen Menschen oder glücklichen Gegebenheiten und Situationen begegnen will. Es ist meine Aufgabe, zu versuchen, Schritt für Schritt den nächst besseren Gedanken zu suchen, wenn ich mich mal so richtig mies fühle. Finde ich den ersten guten Gedanken, bringt mir das Gesetz der Anziehung den nächsten und wieder den nächsten - es ist, als klettere ich die Leiter der Emotionen hinauf. Ich kann nicht von der untersten Sprosse direkt auf die oberste springen, aber Stufe für Stufe, ganz behutsam, komme ich mit Sicherheit und himmlisch guter Laune ganz oben an, wenn ich mir dessen bewusst bin und nicht durch unkontrolliertes Fühlen oder Massendenken ins Stolpern gerate und mich - einige Sprossen tiefer gefallen - verkrampft an die Leiter klammere. So kann man nämlich auch mir nichts, dir nichts in der Gefühls-Hölle landen. Das ist ebenfalls das Gesetz der Anziehung. Im Alltagsstress findet man sich nur allzu schnell im Untergeschoss wieder, weil man sich einfach treiben lässt. Dann hat man ja keine „Zeit“ sich mit sich selbst zu beschäftigen und unterliegt dem Massendenken oder -fühlen.
Im Grunde ist es ganz einfach, es ist nur ein anderer Weg. Es ist der schönere, liebevollere, romantischere Weg, den es zu gehen gilt. Es geht darum, die alten Denkgewohnheiten hinter sich zu lassen und statt die vielleicht trostlose Realität zu beachten, sich seiner wirklichen Wünsche bewusst zu werden und möglichst oft nachzuempfinden, wie es wäre, wenn das Ersehnte real wird. Niemand kann an seine Herzenswünsche denken und sich gleichzeitig schlecht fühlen. Es sei denn, er glaubt nicht daran, dass er sie selbst verwirklichen kann.
Hier auf dem Pilgerweg erlebe ich täglich, dass meine Gefühle meine Realität bestimmen. Also lautet das Motto: „Wäre es nicht schön, wenn...? Ich freue mich schon auf...! Allein diese einleitenden Worte der beiden Sätze lassen mein Herz hüpfen und mir fallen tausend Dinge dazu ein. Als erstes wünsche ich mir mal, dass ich mir dieser wichtigen Tatsache so oft wie möglich bewusst bin.
In der Mittagszeit erreiche ich Terradillos de los Templarios und freue mich schon auf die nächste Pause in der ich wieder einen Café con leche genießen werde. Terradillos hat knappe 100 Einwohner und tatsächlich eine „Bar“.
Bin schon fast dran vorbeigelaufen, als ein Mädchen die drei Eingangsstufen herunterspringt. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass es sich um ein Lokal handeln könnte: Keine Werbung, kein Schild, kein Tisch oder Stuhl vor der Tür, der auf Gäste wartet. Aber das Mädchen hat meine Aufmerksamkeit geweckt und ich werfe vorsichtig einen Blick in das uralte Häuschen mit seiner über die vielen Jahre hochstrapazierten Eingangstür. Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, ein Stück einer Theke zu erkennen. Ich müsste jetzt allerdings ein oder zwei Schritte ins Haus gehen und um die Ecke gucken, um Gewissheit zu haben, dass hier offiziell Café con leche an Fremde ausgeschenkt wird. Ich trau mich nicht so richtig, denn es könnte auch einfach ein privates Haus sein. Die Spanier lassen ja gerne mal ihre Haustüren offen stehen.
Im nächsten Moment springt an mir vorbei ein junger Mann die besagten Stufen hoch und verschwindet genau in dem Raum, in dem ich die Theke vermute. Dann höre ich, wie er sich mit jemandem unterhält und eine Flasche geöffnet und hingestellt wird. Na, dann fass ich mir mal ein Herz und geh ihm hinterher, was soll schon passieren? Auf diese Weise habe ich vor einiger Zeit im Casa Rural ein Bett für die Nacht gefunden.
Ich werde, wie schon so oft, mit spanischem Temperament begrüßt. Der Raum ist sehr karg eingerichtet. Die
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