5 1/2 Wochen
Theke, Tische und Stühle sind mit Sicherheit noch aus der Nachkriegszeit. Ich glaube, dass sich hier kaum jemand hin verirrt. Vermutlich ist das eine Insider-Bar - nur für die Ureinwohner des Ortes. Es sind jedenfalls keine anderen Gäste in Sicht. Die beiden Männer scheinen mich gar nicht mehr wahrzunehmen. Sie haben sich anscheinend sehr wichtige Dinge zu erzählen.
Mir kommen Zweifel, ob ich mich hier wirklich aufhalten will, aber die nächste Bar ist wahrscheinlich mindestens sechs Kilometer entfernt und diese alten Stühle sind so nah! Ich will jetzt nach knappen zehn Kilometern endlich sitzen. So stehe ich da - mitten in diesem verlassenen Raum und weiß nicht, ob das alles so richtig ist. Der magnetische Blick meines Vierbeiners zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Er sieht mir fest und entschlossen in die Augen und schon ist alles klar: Wir bleiben! Basta!
Ich schnalle meinen Rucksack ab, rupfe Ruddi’s Kuscheldecke heraus und lege sie ihm schön drapiert hin. Er lässt sich sogleich darauf plumpsen und kringelt sich gemütlich ein. Ich stelle sein Tupperware-Wasser-Schüsselchen daneben und lege meinen Wanderführer auf den Tisch. Jetzt wo ich mich häuslich niedergelassen habe, fühle ich mich gar nicht mehr so verloren hier drin. Ist doch ganz kuschlig soweit.
Mir fällt auf, dass es mucksmäuschenstill im Raum geworden ist. Als ich aufschaue, stelle ich amüsiert fest, dass die beiden Männer mich und mein Tun wohlwollend beobachtet haben. Der „Wirt“ lächelt mich an und zwinkert mir mit einem Blick auf meinen Schwarzen-Kringel-in-Decke zu. Wir sind also willkommen. Ich überlege kurz, ob ich hier wirklich einen Milchkaffee bestellen soll... nicht, dass die Milch so alt ist wie das Lokal! Entscheidungshilfe ist dann letztendlich eine junge Frau, die, mit einer sauberen Schürze bekleidet und mit einem frischen Handtuch bewaffnet, hinter die Theke schwebt, um die Gläser zu spülen, die in den Regalen stehen. Ich traue mich also und werde mit einem besonders guten Kaffee für meinen Mut belohnt. Die Señores sind sehr an uns - der „buena compañía“ - interessiert. Wie schon so oft, tauschen wir uns unter dem Einsatz der Körpersprache aus und haben irren Spaß daran.
Nach einer guten halben Stunde mach ich mich bestens gelaunt wieder auf den Weg. Dreizehn, vierzehn Kilometer liegen noch vor uns, wenn wir das geplante Etappenziel in Sahagún erreichen wollen. Und ob wir wollen! Ich will heute in einem guten Hotel übernachten. Sahagún hat fast 3000 Einwohner. Da ist die Chance auf Luxusprogramm relativ hoch.
Jetzt muss ich zuerst einmal eine Entscheidung treffen: Zwei gekennzeichnete Wege führen nach San Nicolás. Einer verläuft über einen Fußgängerweg direkt neben der Nationalstraße, der andere fern vom Autoverkehr durch die Natur. Eigentlich bevorzuge ich den ruhigeren Weg, er ist aber deutlich länger als der erstgenannte. In Anbetracht der erwähnten vierzehn Kilometer, wähle ich den weniger romantischen Streckenabschnitt. Der Verkehr wird schon nicht so stark sein, denn mein Reiseführer verrät mir, dass die meisten Autofahrer die neue Schnellstraße benutzen.
So laufen Ruddi und ich gleichmäßigen Schrittes gemütlich aber bestimmt über einen „Feldweg“ neben der grauen N-120, der sich ganz gut mit unseren Füßen verträgt. Die Sonne lässt sich immer öfter blicken. Es wird lecker warm. Nach ein paar Kilometern lasse ich mich auf dem Weg nieder und Ruddi ein bisschen in meinem Schatten liegen. Bei einer kurzen Wellness-Massage, die ich ihm gönne, fällt mir auf, dass mein kleiner Vierbeiner „blinde Passagiere“ an Bord hat. Ich bin völlig aus dem Häuschen und ekel mich entsetzlich. Das kenne ich noch nicht. Ich muss mich überwinden und die unerwünschten „Viecher“ (es sind keine typischen Zecken, sondern kleine, hässliche, schwarze, vielfüßige, platte Käfer) mit der Pinzette entfernen. Sieben oder acht Stück hole ich aus seinem Fell. Er lässt es sich auch gerne gefallen. Ein bisschen Mühe kostet es mich schon, dieses Erlebnis wegzupacken. Ich werde in Sahagún ein Mittel dagegen besorgen.
Gegen 14 Uhr kommen wir in San Nicolás an. Wir suchen natürlich die erste Bar auf. Hier treffe ich endlich auch mal wieder auf andere Pilger. Es tut gut, sich ein bisschen auszutauschen. Ich höre von einer Familie, die mit zwei kleinen Kindern und zwei Eseln auf dem camino unterwegs ist. Das ist ja ein Ding! Die würde ich gerne mal interviewen. Zwei Esel kann
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