5 1/2 Wochen
Tasche und über meine Schulter. Fünf Kilo tun gerade so, als wären sie in Wirklichkeit ein Zentner. Wehe, wenn da kein Zimmer mehr frei ist! Das Hotel ist relativ groß und es gehen ungewöhnlich viele Leute ein und aus. Gespannt wie ein Flitzebogen beeil ich mich, an die Rezeption zu kommen. Nach kurzem Zögern und Überlegen kommt die freundliche Zusage.
Das Zimmer ist schön, allerdings direkt an der Nationalstraße, die heute - am Montagabend - sehr stark befahren ist. Die nette Señora, die mich raufgebracht hat, weist mich beruhigend auf die doppelten Fenster hin und schließt sie. Erstaunlich, aber jetzt höre ich wirklich nichts mehr von dem Lärm der vorbeidonnernden Laster. Ich bin froh, als ich allein bin und Ruddi nicht aufgeflogen ist. Aber der liegt ja auch praktisch schon im Bett. Das Schaukeln an meiner Schulter scheint ihn nicht zu stören.
Ich suche den günstigsten Platz im Zimmer und will seinen Wassernapf hinstellen. Aber der ist nicht da! Sofort weiß ich, wo der abgeblieben ist. In der überfüllten Bar haben sie ihn wahrscheinlich unter Rucksäcken vergraben und da ich ihn nicht sehen konnte, ist er total in Vergessenheit geraten. Ich könnte heulen, einen Tag vor Schluss, geht mir das wichtigste Tupperware-Schüsselchen, das ich je besessen habe, verloren. Das Ding hat alle Bars und Unterkünfte gesehen, von den Wegesrändern des Camino Francés ganz zu schweigen. Ich häng an dem Teil. Das ist ein ganz wichtiges Erinnerungsstück! Eine kleine Hoffnung bleibt mir noch: Die Österreicher! Sie kennen den Napf und stecken ihn garantiert ein, wenn er ihnen auffällt. Für den Moment tröstet es mich ein wenig.
Nach dem Duschen bin ich wieder einigermaßen fit und freue mich tierisch aufs Essen. In dem Comedor ist es - wie erwartet - sehr voll. Zwei Frauen, die meine suchenden Blicke gesehen haben, winken mich an ihren Tisch. Gerne setze ich mich zu ihnen. Ich stelle die Ruddi-Schlaftasche unter den Tisch an meine Füße, damit niemand darüber stolpert.
Die beiden kommen aus Bielefeld und heißen Margot und Nina. Sie sind Schwiegermutter und -tochter. Die zwei sind ein Herz und eine Seele. Sie haben das gleiche Tempo und genießen zusammen den Jakobsweg seit zweihundert Kilometern. Ich bin sehr glücklich darüber, mit genau diesen beiden amüsanten, lebhaften Frauen den Abend zu verbringen. Zusammen schaffen wir es, die Melancholie, die durch das bevorstehende Ende des Pilgerns entstehen will, zu verdrängen. Das Pilgermenü ist eine Wucht. Der Wein ist gut. Und das Dessert? Ja, es gibt Santiago-Torte! Davon esse ich auch zwei an einem Tag - da kenn ich nix. Hmm, lecker!
Heute Abend höre ich einfach auf zu denken. Es ist das letzte Mal, dass ich mich ins Bett lege und - wie in den letzten Wochen üblich - durchschnittlich 22 Kilometer am nächsten Tag von mir gelaufen werden wollen. Ich weiß einfach nicht, was ich davon halten soll. Im Moment liegt mir viel mehr am Herzen, dass die Hündin gut wieder zuhause angekommen ist. Gutes Ablenkungsmanöver, oder?
Dienstag, 20. Mai 2008
Rúa (ca. 50 Einwohner), ca. 400 m ÜdM, Provinz La Coruña
36. Etappe bis Santiago de Compostela, 21,4 km
Fast alle Pilger - und es sind viele - die ich beim Frühstück erlebe, kommen heute noch in Santiago an. Die meisten sind aufgeregt, voller Vorfreude - einfach völlig aus dem Häuschen. Ich wäre so gerne mit ihnen ausgelassen und überglücklich, das heißersehnte und schwer erkämpfte Ziel endlich zu erreichen. Aber ich bin im Moment nicht Fisch und nicht Fleisch, weiß nicht, was ich davon halten soll. Alleine trinke ich in all dem Trubel meinen Café con leche ganz langsam aus. Ob Ruddi schon ahnt, dass es die letzte Etappe zu laufen gilt? Findet er das gut? Achim hat in Belorado gescherzt: „Wenn Ruddi erst wieder zuhause auf der Couch liegt, wird er nie wieder Gassi gehen wollen. Mit Dir weiß er ja nie, wie und wo das enden wird.“
Aus meiner Sicht ist das so: Nach 5 ½ Wochen ohne Couch, freue ich mich unbändig darauf, mich auf ihr zu lümmeln. Bei Regen einfach nicht vor die Tür zu gehen, ist mehr als verlockend. Es wird toll sein, die Sonne dösend oder mit einem Buch im Liegestuhl zu genießen. Die Gewissheit zu haben, mich abends - ohne Zimmersuche - einfach in mein Wasserbett legen zu können, ist Gold wert. Es wartet aber auch der Alltagstrott auf mich und wenn ich ganz ehrlich bin, kann ich darauf locker verzichten. Das wusste ich vor dieser Reise gar nicht. Ich hätte nicht
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