5 1/2 Wochen
Wie wird es sein, alleine auf diesem 143 Meter hohen Felsen zu sitzen und bis zum Horizont auf den Atlantik zu schauen?
Ich beschließe, meinen Rucksack, so bepackt wie jeden Morgen, mit auf die Reise zu nehmen und die allerletzten drei, vier Kilometer von Fisterre hinauf zum Kap zu pilgern. Ruddi darf übrigens gar nicht im Bus mitfahren. Das ist streng verboten. “No perro!” Na, das kennen wir doch! Dafür haben wir schließlich die tolle Tarntasche. Sobald er draußen seine Geschäfte erledigt hat, darf er in seinem “Bett” weiterschlafen.
Die Haltestelle befindet sich in einer Art Kreisverkehr, in dessen Mitte ein kleiner Park angelegt ist. Es ist ein riesiger Busbahnhof. Wie aufgereiht stehen die Reisebusse bereit, um die Menschenmassen aufzunehmen. Ich drängel mich durch die aufgewühlte Menge, suche die richtige Haltestelle. Oh je, jetzt hätte ich beinah vergessen, meinen Hund zu verstecken. Auf einem klitzekleinen Stück Bürgersteig, zwischen Taschen, Rucksäcken und Füßen, versuche ich ein bisschen ungeschickt, Perritos Tasche zu öffnen.
Ich höre nur noch wie eine Frau ganz aufgeregt den Namen meines Hundes ruft, bevor sich jemand von hinten an mich ranmacht, hochzieht, rumdreht, umarmt und küsst. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was gerade passiert.
Sie stottert weinend zwischen meinem Hals und meiner Schulter: “I only saw Ruddi and suddenly I knew, that you are here. I cannot believe it. It’s amazing to see you. I hoped it all the time, that it will happen (ich sah nur Ruddi und plötzlich wusste ich, dass DU hier bist. Ich kann es nicht glauben. Es ist so wunderbar, Dich hier zu sehen. Ich hoffte die ganze Zeit, dass das passiert)!” Diese kurzen Sätze genügen. Ich heule sofort mit. Es ist Edit aus Ungarn, die in Lorca mit ihrem Popo nach einem gemütlichen Abend mit Hermann, mir und viel Wein die Spanische Wand umgehauen und mich in Villamayor de Monjardin getröstet hat, weil ich im stinkigen Eingangsbereich schlafen musste; die Edit, die mir - ein wenig beschwipst - in Navarrete ihr Herbergsbett überlassen wollte, um mit Hermann in unserer schicken Wohnung zu übernachten; die Edit, die in Azofra nachts in den Pilgerboxen so schön für alle gesungen hat. Meine Pilgerfreundin, mit der ich die aufregende Autofahrt in die Jugendherberge fern ab von Grañón gemacht habe. Das letzte Mal haben wir uns in Belorado gesehen und mit Achim, Oliver, Sabrina, Edit und Sören ein Riesenfass aufgemacht. Ein unvergesslicher Abend.
Wir wollen uns gar nicht mehr einkriegen vor lauter Freude. Für einen Moment darf ich die Hoffnung haben, dass sie ebenfalls nach Fisterre fährt. Aber ich höre etwas ganz anderes: “This is my bus to the airport. I’ll go home now, after two days in Santiago. You have to go to Cabo Finisterra. It’s the most wunderful place I’ve ever seen (Dies ist mein Bus zum Flughafen. Ich fahre jetzt nach zwei Tagen in Santiago nach Hause. Du musst unbedingt nach Cabo Finisterra. Das ist der schönste Platz, den ich je gesehen habe).”
Der Busfahrer klopft bereits ungeduldig mit den Fingern aufs Lenkrad und spricht die letzte Aufforderung nur für Edit aus. Rückwärts steigt sie ein und zieht gerade noch rechtzeitig ihre Hand zurück, bevor die Tür sich schließt. Atemlos - angesichts höchstens zweiminütiger tief empfundener Wiedersehensfreude und überstürztem wortlosem Abschiednehmen - winke ich dem sich ganz langsam in Bewegung setzenden Bus hinterher. Eine weitere Überraschung - die in der viel zu kurzen Zeit nicht intensiver hätte sein können - die Santiago de Compostela für mich bereit gehalten hat. Diese Begegnung hat mich regelrecht beflügelt. Edit ist mir ganz besonders ans Herz gewachsen.
Mit Ruddi in der Tasche suche ich ganz weit hinten einen ruhigen Platz im Reisebus und stelle ihn gleich auf den Sitz neben mir, damit sich da keiner mehr hinsetzt. Wohlgemerkt: “No perro!” Er ist Busfahren nicht gewöhnt und ich hoffe inständig, dass alles gutgeht und wir nicht auf halber Strecke rausfliegen. Gott sei Dank habe ich keine Zeit mehr, weiter darüber nachzudenken. Als ich meine Sachen alle gut für die zweistündige Fahrt verstaut habe, interessieren mich die Leute, die um mich herum Platz genommen haben.
Ich träume doch, oder? Vor mir sitzen Luigi, Heinz, Karoline und Monika aus Klagenfurt. Das ist ja ein Ding! “Hola, qué tal, amigos?” Halbherzig drehen sie ihre Köpfe ein wenig nach hinten, um formell zurückzugrüßen. Als sie
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