5 Tage im Sommer
den Fall …«
»Kommst du her, Will?«
Will hatte für morgen einen weiteren langen Tag im Restaurant eingeplant, damit er sich am Mittwoch für sein Bewerbungsgespräch ein paar Stunden frei nehmen konnte. Am Donnerstag wollte er die Jungen morgens zur Schule bringen und nachmittags wieder abholen. Das war Familientradition: Der erste Tag des Schuljahres war eine große Sache, das wollte er auf gar keinen Fall verpassen.
»Ich ruf jetzt gleich den Detective an. Sobald ich mehr weiß, ruf ich dich zurück.«
»In Ordnung.«
»Und Sarah: Gib mir bitte sofort Bescheid, falls Emily in der Zwischenzeit auftaucht.«
»Aber natürlich.«
In der festen Überzeugung, dass Emily lebte, legte Will das Telefon auf. Ihr durfte einfach nichts zugestoßen sein. Seine Seele würde einen zweiten solchen Schlag nicht verkraften.
Detective Al Snow meldete sich beim dritten Klingeln.
»Detective Snow, was kann ich für Sie tun?«
»Will Parker hier. Ich rufe an, weil …«
»Ja, Mister Parker, Ihre Mutter hat mich bereits angerufen.«
»Meine Schwiegermutter. Es geht um meine Frau.«
»Mrs. Parker hat mir bereits alles berichtet.«
»Das war Mrs. Goodman. Mrs. Parker ist nie nach Hause gekommen.«
Der Detective hielt einen Moment inne. »Es tut mir Leid, Mister Parker, ja, ich habe hier alles notiert.«
»Ich rufe an, weil …«
»Ich verstehe«, sagte Detective Snow in sanftem, aber auch bestimmtem Ton, als habe er das alles schon einmal gehört. »In neun von zehn Fällen taucht die vermisste Person wieder auf, das heißt, dass sie gar nicht vermisst war.«
»Aber wir haben schon seit acht Stunden nichts mehr von ihr gehört«, sagte Will, »und sie befand sich bereits auf dem Heimweg.«
»Ich verstehe Sie, Mister Parker. Ich habe den Vorgang aufgenommen. Er liegt vor mir. Ihre Frau wird als vermisst zu den Akten genommen.«
»Zu den Akten?«
»Es handelt sich um eine offene Akte, Mister Parker. Wir befassen uns damit.«
Und warum – Wills Gedanken rasten, als ihm plötzlich klar wurde, dass Emily tatsächlich verschwunden war – sitzen Sie dann an Ihrem Schreibtisch und telefonieren? Reden mit mir?
»Sind Streifen unterwegs, die meine Frau suchen?«
»Ja, Mr. Parker, jetzt im Augenblick, während wir miteinander reden. Aber ich kann nicht genug betonen, dass sich diese Fälle normalerweise von alleine aufklären. Das erklären wir immer den Angehörigen, damit sich niemand zu Tode ängstigt. Deshalb lassen wir auch vierundzwanzig Stunden verstreichen, bevor wir die Person offiziell für vermisst erklären.«
Will gefiel weder das Aber noch das Normalerweise oder die vierundzwanzig Stunden . Er verabschiedete sich von dem Detective und legte auf. Dann rief er Sarah an und sagte ihr, dass er käme. Mit bebender Stimme fragte er bei der Autovermietung um die Ecke nach einem Leihwagen. Sie konnten ihm nur einen mit allen Schikanen ausgestatteten SUV anbieten. Vermutlich wollten sie seine Nervosität ausnutzen. Doch ihm war jetzt alles egal. Und wenn er die ganze Nacht fahren müsste, nur um Emily schlafend in ihrem Bett vorzufinden, er musste es tun.
Er brauchte sechs Minuten, um den Herd abzuschalten, das Essen in den Kühlschrank zu stellen beziehungsweise in den Abfall zu werfen, die wichtigsten Anziehsachen in eine Leinentasche zu stopfen und die Wohnung abzuschließen; zwei Minuten, um zur Autovermietung zu kommen und dort viel Geld für ein Riesenauto hinzulegen. Dann warf er die Tasche auf den Beifahrersitz und gab Gas: die West End Avenue hinunter zur Auffahrt auf den Henry Hudson Parkway in Richtung Norden.
Zwanzig Minuten später raste Will über den Hutchinson Parkway. Er hatte alle Fenster geöffnet, und die kühle Sommerluft rauschte durch den SUV. Will hielt das Lenkrad krampfhaft fest und musste sich daran erinnern zu atmen. Als beide Hände zu kribbeln begannen, schüttelte er erst die eine und dann die andere aus. Die Mischung aus Adrenalin und Erschöpfung schlug ihm auf den Magen. Das Wichtigste war, wach zu bleiben. Nachdem er die Bronx durchquert hatte und nach Westchester kam, wichen die Blocks aus Backsteingebäuden und das Glimmen der Stadt, in der das Licht nie erlosch, mit einem Mal völliger Dunkelheit. Die Scheinwerfer entgegenkommender Autos tauchten auf und erloschen hinter der nächsten Kurve. Erst als er die Stille jenseits der Straße riechen konnte, wusste er, dass er einige Entfernung hinter sich gebracht hatte.
Bei der ersten Raststätte in Connecticut machte er eine
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