5 Tage im Sommer
vielleicht sogar später. Morgen würde sie mit den Kindern zurück nach New York fahren – die Jungen mussten wieder in die Schule –, und sie wollte ihrer Mutter als Dank für den wunderschönen Aufenthalt Lebensmittelvorräte zurücklassen.
Emily hob den Arm und winkte zum Abschied. Metall klirrte an ihrem Handgelenk; das Schloss ihres silbernen Armbands mit den Glücksbringern war wieder aufgegangen. Sie ließ es zuschnappen und rief Sarah zu: »Erinnere mich daran, dass ich mein Armband reparieren lasse.«
»Pass auf, dass du es nicht im Wasser verlierst, Liebes«, rief Sarah zurück. Sie stand bis zur Taille im Wasser und hielt die zappelnde einjährige Maxi auf dem Arm. Die breite Krempe von Sarahs Strohhut warf Punkte aus Licht und Schatten auf Maxis pausbäckiges Gesicht.
Gerade als Emily endgültig aufbrechen wollte, planschte Sam vor ihr herum, um ihre Aufmerksamkeit für seine Schwimmversuche zu erheischen.
»Sammy, du musst deine Bewegungen genauer kontrollieren.« Emily deutete auf David. »Sieh nur.«
David bewegte sich mühelos im Wasser. Er war vollkommen in seinem Element – genau wie sie mit elf Jahren. Sams Schwimmversuche waren hingegen noch nicht von Erfolg gekrönt. Emily beschloss, dass das Einkaufen ruhig noch fünf Minuten warten konnte. Sie watete in den See hinaus, und Sam warf sich ihr so ungestüm in die Arme, dass sie fast hintenüber gefallen wäre.
»Versuch es mal so, mein Kleiner.«
Sie schwamm um ihn herum, ließ die Arme rotieren und warf das Gesicht hin und her, um Luft zu schnappen. David schwamm wie ein junger Delphin an ihre Seite und imitierte ihre Bewegungen. Mit einem Augenzwinkern in Davids Richtung ergriff sie Sams Hand, schwamm rückwärts und zog ihn mit sich. Er strampelte planschend mit den Beinen, unbändige Lebensfreude blitzte in seinen braunen Augen auf.
Sie paddelten hinüber zu Sarah und Maxi, die sofort ihre Arme um Emilys Schultern schlang. Emily zog ihr kleinstes Kind an sich, küsste und drückte es. »Mommy fährt einkaufen, Oma wird schön auf euch aufpassen.«
»Nein!« Eine seidenweiche Wange schmiegte sich an Emilys Hals.
»Mom ist doch gleich wieder da. Ich habe dich lieb. Pass schön auf Grandma auf, solange ich weg bin.«
»Nein!«
»Doch!« Sam spritzte Maxi nass, die sich lachend revanchierte.
»Vorsicht wegen Maxis entzündetem Ohr«, mahnte Emily.
Sarah drehte Maxi zur Seite, und Sam startete einen neuen Schwimmversuch.
»Mom«, sagte David. Er war geschickt und unbemerkt neben sie geglitten. Sie strich ihm eine nasse Strähne aus der Stirn. »Erdbeereis, okay?«
»Brauchen wir noch Waffeln?«
»Ja«, antwortete Sarah.
»Ich versuch daran zu denken.«
»Fahr lieber los, Liebes. Sieh nur den Himmel.«
Emily blickte nach oben. Eine Phalanx von Wolken war dabei, sich vor die Sonne zu schieben. Ein unerwartetes Unwetter braute sich zusammen. Ihr Vater hatte immer Witze darüber gemacht, dass die Wettervorhersage der Cape Cod Times Tag für Tag lautete: »bewölkt, sonnig und trocken mit Regenschauern«. Wenn sie Glück hatte, war sie vom Einkaufen zurück, bevor das Gewitter losbrach.
Sie winkte Sarah und den Kindern ein letztes Mal zu und durchquerte das Wäldchen, das zwischen See und Haus lag. Kaum hatte sie den breiten Graspfad betreten, war sie in gleißendes Sonnenlicht getaucht. Auf dem Weg hinauf zum Haus, einem der fürs Cape so typischen verwitterten Holzhäuser mit rückwärtiger Veranda, verspürte sie ein Prickeln, als würde sie sich in einen Südseeurlaub davonstehlen oder mitten am Tag ins Kino gehen. Immer wenn sie die Kinder zurückließ, verspürte sie dieselben widerstreitenden Gefühle von schmerzlichem Verlust und verführerischer Freiheit. Vielleicht würde sie bei Starbucks vorfahren und sich einen Eistee holen.
Einen Eistee. Wie leicht ließ sich inzwischen der Tag versüßen. Bevor die Kinder zur Welt gekommen waren, hatte sie als Cellistin der New Yorker Philharmoniker die Welt bereist und war manchmal innerhalb einer einzigen Woche in drei verschiedenen Ländern aufgetreten. Als junge Musikerin hatte sie alles gegeben. Das hatte sie zumindest angenommen. Bis sie sich in Will verliebt hatte. Bis sie Mutter geworden war. Jetzt war sie Hausfrau und nur noch einmal wöchentlich unterwegs, um eine Musickolumne für den Observer zu schreiben. Sie besprach alle Arten von Musik und konnte dabei so subjektiv und respektlos verfahren, wie sie wollte. Ein perfekter Job: Will hatte einen Abend ganz für sich
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