52 Verführungen: Ein Paar holt sich die Lust zurück - (German Edition)
verloren habe.
Bis zu dem Zeitpunkt, als ich mir das mit den Verführungen ausdachte – inzwischen also vor knapp einem Jahr –, war dieses atemberaubende Lodern ziemlich abgeflaut. Wir hatten damals schon ein paar schwierige Momente hinter uns, und ich war versucht, in der Liebe eher so eine Art Automatismus zu sehen. Zumindest langfristig. Mein Eindruck war, dass die alltäglichen Kompromisse – der weniger werdende Sex, die Einschränkung der eigenen Freiheit, um zwei Leben zu koordinieren – unvermeidlich, aber trotzdem lohnenswert waren.
Jetzt scheint diese süchtig machende Form der Liebe vom Anfang wieder da zu sein. Im einen Moment denke ich noch: Ob diese Verführungen überhaupt irgendeine Auswirkung auf unser Leben haben werden? Dann wieder wird mir ganz plötzlich klar, dass ich nicht einmal aufhören könnte, Herbert anzusehen. Meine Augen lieben es, sein Gesicht zu »trinken«. Das ist beruhigend und faszinierend. In unserer Anfangszeit habe ich mich immer mal wieder gefragt, ob ich eines Tages aufwachen und feststellen könnte, dass die Anziehungskraft zwischen uns nachgelassen hat. Heute weiß ich, dass das nicht passiert ist und nie passieren wird.
Ich schreibe das alles, weil ich Herbert in der Zeit, als meine Mutter uns besuchte, vermisst habe. Ich sah ihn zwar täglich und teilte jede Nacht das Bett mit ihm, aber ich habe ihn trotzdem vermisst. Ich sehnte mich nach ein bisschen Zeit für Zweisamkeit.
Am Freitag stehe ich irgendwie neben mir und habe Liebesfrust. Noch dazu hat Herbert am Montag Geburtstag;
meiner war in der Woche davor. Ich hasse, es, wenn einem die Chance zu feiern entgeht.
Also schicke ich ihm eine SMS ins Büro: Kannst du dir am Montag freinehmen?
Bin gerade dabei, das zu regeln, kommt die Antwort.
Okay, schreibe ich, ich werde dich auf einen großartigen Ausflug entführen.
Dann ist Montag, und ich habe meine Mutter am Vorabend wohlbehalten am Flughafen abgesetzt. Ich steige mit Herbert in den Zug nach London. Mittags essen wir Biryani-Lamm mit Dhal und schwelgen in Erinnerungen an unsere Indienreise vor zwei Jahren. Danach machen wir uns auf den Weg in den Zoo und turteln vor den Pinguinen. Nach Tee und Kuchen in Primrose Hill lasse ich Herbert in Ruhe durch die Plattenläden von Camden streifen. Während ich Kaffeetrinken gehe und mich nicht beschwere.
Die heutige Verführung hat nichts mit Sex zu tun, sondern mit Romantik. Wir küssen uns auf der Straße und laufen Händchen haltend durch die Stadt. Am Ende des Tages wollen wir nichts weiter als uns im Bett aneinanderkuscheln und zusammen einschlafen.
Die Verführungen haben den Sex vielleicht nicht wieder zu etwas so Selbstverständlichem gemacht wie damals, als wir uns gerade erst kennen gelernt hatten. Aber sie haben die Liebe wieder zum Vorschein gebracht. Kaum vorstellbar, dass ich vor einem knappen Jahr noch das Gefühl hatte, ich sei mit so kindischen Dingen wie Sex und Romantik schon durch. Schwer vorstellbar auch, wie ich mir in meiner Fantasie
Sex mit anderen Männern ausgemalt habe und wie trostlos sich das angefühlt hat.
Und jetzt sind Sex und Romantik nicht nur wieder da, sondern sie eröffnen auch einen ganz neuen Blick auf den anderen. Mein Bild von Herbert als unbeweglich und selbstzufrieden ist verschwunden (im Streit habe ich ihm sogar mal vorgeworfen, er würde bloß noch die Zeit vor dem Sterben totschlagen). Auch das Bild unserer Beziehung als etwas, das zum Stillstand gekommen ist, gibt es nicht mehr. Stattdessen können wir beide genau das Leben leben, das wir uns aussuchen.
Als wir auf dem Weg zum Abendessen über den Exmouth Market schlendern, frage ich: »Könntest du dir vorstellen, hier zu wohnen?«
Herbert blickt sich um. »Ja«, sagt er. »Vielleicht.«
Oktober
A ls ich Herbert kennen lernte, erschreckte mich die Vorstellung, Kinder zu bekommen. Herbert ging es genauso. Doch dann veränderte ich mich. In meinen frühen Zwanzigern sehnte ich mich nach einem Baby. Herberts Meinung hatte sich nicht geändert. Er wollte keines. Das führte zu Auseinandersetzungen und zu Überredungsversuchen. Schließlich kamen wir an folgenden Punkt: Warum sollte Herberts Nein schwerer wiegen als mein Ja? Herbert ist ein vernünftiger Bursche. Er sah ein, dass das nicht fair war.
Also machten wir einen Deal: Ich gewährte ihm noch fünf Jahre Freiheit – bis zu meinem 28. Geburtstag –, und dann bekäme ich mein Baby. Das passte mir gut. Im gleichen Alter hatte meine Mutter mich
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