52 Verfuehrungen - Ein Paar Holt Sich Die Lust Zurueck -
die Selbstverpflichtung, einmal pro Woche miteinander zu schlafen (laut einiger Umfragen erreicht man damit
ja nicht einmal die durchschnittliche Frequenz), hat bewirkt, dass wir uns jeden Aspekt unseres Zusammenlebens vorgenommen haben. Zeitweise fühlte sich das an wie eine ausgedehnte und besonders quälende Psychotherapie. Wir haben unserem Leben – dem individuellen wie dem als Paar – den Spiegel vorgehalten. Und es gab keine Möglichkeit, sich zu verstecken.
Natürlich ging es nicht um Sex als Selbstzweck, sondern um die Notwendigkeit, dem anderen und sich selbst das eigene Verlangen zu gestehen. Anfangs dachte ich noch, dieses Verlangen würde sich ganz von selbst wieder einstellen, sobald wir öfter miteinander schliefen. Doch so war es nicht. Ich habe gelernt, dass dieses Verlangen ein verschlagenes Wesen ist. Es wandelt und verändert sich und fordert unsere ständige Aufmerksamkeit und unser Verständnis, und manchmal war es harte Arbeit, dieses Biest wiederzubeleben. Aber wenn wir nicht offen eingestehen können, was wirklich unser Verlangen ist, wie können wir dann erwarten, wahre Lust zu empfinden?
Nehmen wir beispielsweise diese letzte Verführung. Sie bestand aus Elementen, die noch vor einem Jahr keiner von uns beiden sich zu wünschen getraut hätte. Ich in einem winzigkleinen (Bin ich nicht viel zu fett für winzigklein?) Krankenschwesternkostüm (O bitte! Was für ein überholtes, sexistisches Klischee ist das denn?) aus Latex (Latex? Das ist doch nur was für Perverse.) mit tiefem Ausschnitt (Ich muss meine Brüste nicht in einem unbequemen Outfit zusammenquetschen, um sexy zu sein.) . Und Herbert ist es endlich erlaubt,
mich in einem solchen Outfit zu bewundern, ohne Angst haben zu müssen, das verstieße gegen die Political Correctness (Herbert: »Komm, knie dich bitte über mein Gesicht. Das ist so ein geiler Anblick.«). Außerdem sind wir uns einig, dass wir es nochmal mit Analsex versuchen wollen, weil er uns beiden beim letzten Mal gefallen hat.
Ich glaube, mir war früher gar nicht klar, was für eine absurde Einstellung ich zum Thema Sex hatte. Meine liberalen Ansichten bewirkten zwar, dass ich schon immer der Meinung war, es solle allen Leuten freistehen, in ihren Betten zu tun, was immer sie wollen. Doch meine feministische Überzeugung redete mir ein, dass Frauen beim Sex oft ausgebeutet und degradiert werden. Der Widerspruch zwischen diesen beiden Standpunkten, zwischen denen ich eingekeilt war, war mir bis vor einem Jahr gar nicht klar. Heute weiß ich, dass Sex ein moralisch neutraler Akt ist, keine dunkle Macht, und solange wir beide in Übereinstimmung handeln, kann nichts, wozu wir uns in unserem Schlafzimmer entschließen, in Unterdrückung ausarten.
Zu Beginn der Verführungen habe ich gesagt: »Sex hat für mich einfach rein gar nichts Aufregendes.« Das denke ich heute nicht mehr. Ich musste wieder ganz neu lernen, was dem Sex seinen Reiz verleiht. Die eine Hälfte von mir braucht das Gefühl, emotional sicher und geborgen zu sein, die andere Hälfte verlangt es nach Risiko und Gefahr. Das hat jedoch nichts mit körperlicher Gewalt zu tun. Vielmehr geht es um die Bereitschaft, sich ganz und gar auf seinen Partner einzulassen und ihm Einblicke in die geheimsten Bereiche
der eigenen Seele zu gewähren. Es ist furchterregend, die geheime Leidenschaft zu offenbaren, die unter dem bekannten Ich brodelt, aber es ist auch ungemein spannend. Das Schöne an dieser Offenbarung ist, dass sie den gemütlichen Ehetrott durchbricht und durch sie der Sex auch noch lange nach dem ersten Liebesrausch aufregend sein kann. Es müssen einfach nur beide bereit sein, etwas von sich preiszugeben und dem anderen dabei in die Augen zu schauen. Das ist wahre Nähe.
Ich habe das Gefühl, dass noch ein weiter Weg vor uns liegt. Denn da gibt es Ebenen des Verlangens, zu denen wir noch nicht vorgedrungen sind. Die Logik und der zeitliche Druck der Verführungen hat uns kaum Gelegenheit gegeben, etwas ein zweites Mal auszuprobieren. Doch nun werden wir Zeit haben, in Ruhe unserer Lust und unserer Neugier zu folgen, frei von den Vorgaben unseres Projekts. Wir sind beide erschöpft und vielleicht noch ein wenig durch den Wind, aber ich zumindest kann es kaum erwarten, mich in dieses Abenteuer zu stürzen.
EPILOG
H erbert und ich sitzen in einem Café im Marais und trinken Kir.
»Schau jetzt nicht hin, aber das Paar hinter dir knutscht über den Tisch hinweg! Oh, jetzt steht sie auf … Setzt
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