55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
dabei:
„Und dies alles soll einem Verrückten gehören! Oh, wenn doch dieser Deutsche nicht – nicht buckelig wäre!“
Sie errötete selbst über diesen Gang ihrer Gedanken und begab sich zu den beiden Männern zurück, welche Vater und Sohn waren, obgleich der erstere dem letzteren als Peiniger gegenüberstand.
„Endlich!“ rief der Alte, indem er sich erhob. „Versuchen Sie Ihre Macht; ich werde im anderen Zimmer warten.“
Er entfernte sich, und sie trat zu dem wimmernden Baron.
„Henry!“ sagte sie mit dem sanftesten Ton ihrer Stimme.
Sein Kopf hatte sich wieder unter die Kissen vergraben; dennoch hörte der Kranke das Wort und horchte auf.
„Wer rief?“ fragte er. „Bist du es, meine Liama?“
Sie beugte sich zu ihm nieder und flüsterte liebevoll:
„Komm, mein Henry, blick mich an!“
Er erhob den Kopf, wendete ihn nach ihr und blickte sie an. Es ging wie ein Zug des Erkennens über sein bleiches Gesicht. Er lächelte matt und sagte:
„Ah, das schöne Mädchen vom Brunnen an der Dorfschenke. Ich bin heute durch das Dorf geritten, als du am Brunnen standest. Hast du mich gesehen?“
„Ja, ich habe dich gesehen“, antwortete sie, indem sie sich auf den Rand des Bettes niedersetzte.
„Ich habe mich nach dir erkundigt“, sagte er, indem er sich noch weiter emporrichtete. „Deine Mutter ist tot, und dein Vater ist der Hirte. Nicht?“
„Ja“, flüsterte sie.
„Hast du einen Geliebten, du schönes, holdes Kind?“
„Nein; ich habe noch niemals einen gehabt.“
„So hat deine Lippen noch niemand geküßt?“ fragte er, indem er den Arm um sie schlang.
Seine Blicke bekamen immer mehr Selbstbewußtes, und er musterte das Mädchen, als ob er angestrengt nach einer Erinnerung suche.
„Noch niemand“, antwortete sie.
„So soll es ein Baron sein, der sie zuerst küßt. Komm, beuge dich zu mir herüber.“
Sie hielt ihm den Mund entgegen. Er schlang auch den anderen Arm um sie. Er betrachtete ihr Gesicht, er legte die Hand auf ihre volle Brust, wie um ihre Gestalt, ihr Wesen zu untersuchen; er ergriff die Zöpfe ihres Haares, um sie genau zu betrachten; sein Blick wurde nach und nach finsterer, und endlich sagte er:
„Mädchen, du belügst mich! Das war kein Kuß von Lippen, die noch nie geküßt haben; der Kuß eines reinen Mädchens ist anders. Wer so küßt wie du, der hat die Liebe kennen gelernt. Wie heißt du?“
„Adeline“, antwortete sie, indem ihr Gesicht den Ausdruck der Besorgnis annahm.
„Adeline?“ fragte er, sichtlich mit einem Gedanken ringend, den er noch nicht zu beherrschen vermochte. „Adeline? Ach, jetzt habe ich es! Adeline, die Hirtentochter, die heimliche Geliebte des Sohnes des Mairie! Dieser Sohn des Maire sollte sie nicht heiraten, obgleich beide sich bereits so innig verbunden hatten, als ob es auf der Mairie geschehen sei. Sie war so klug, den Baron de Sainte-Marie zu zwingen, sie zu heiraten und den Sohn ihres Geliebten dann als den seinigen zu betrachten. Das bist du! Bist du das?“
„Du irrst!“ antwortete sie, indem sie den Arm um seine Schultern schlang, um ihren Gemahl mit gut gespielter Zärtlichkeit an sich zu drücken.
Da aber schob er sie zornig zurück und antwortete:
„Ich irre mich nicht! Hältst auch du mich für wahnsinnig? Oh, ich weiß alles! Du hast mich betrogen, aber du betrügst mich nicht wieder. Du hast mich beobachtet, als ich nach der Kriegskasse – oh, mein Gott, die Kriegskasse! Und dann mußte ich, um dein Schweigen zu erkaufen, meine herrliche Liama – o Liama, meine süße, einzige Liama!“
Er stieß die Baronin mit aller Gewalt von sich und wühlte sich wieder in das Bett hinein. Wie oft hatte, wenn er in sein Toben verfallen war, die Strenge seines Vaters ihn eingeschüchtert, oder, wenn diese nicht geholfen hatte, die Schönheit der Baronin, die dann stets als Mädchen angekleidet war, ihn in Banden geschlagen und beruhigt. Aber heute hatten beide Mittel ihre Kraft verloren. Der Irre begann von neuem zu wimmern und zu rufen, so daß der Kapitän eintrat.
„Nun?“ fragte er die ratlos dastehende Schwiegertochter.
„Es hilft nichts, gar nichts“, antwortete sie.
„So haben Sie es nicht klug genug angefangen“, tadelte er.
„Liama, meine Liama will ich sehen!“ rief der Kranke, indem er aufsprang. „Wo habt ihr sie?“
Er ballte seine Faust und seine Lippen wurden feucht. Der Alte wußte, daß nach solchen Anzeichen stets der höchste Grad des Paroxismus eintrat, daß ihm der Schaum
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