55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
Sie werden ferner den Noten einen anderen Aufbewahrungsort geben; dann stehe ich macht- und beweislos Ihnen gegenüber, und Sie können mich wie einen Hund vom Hof jagen. Oder Sie machen es noch kürzer: Sie schießen mir eine Kugel durch den Kopf; das ist gründlich gehandelt. Da muß ich Ihnen nun leider sagen, daß ich Ihnen Schach und Matt biete. Ich fahre nachher nach Thionville. Von da aus geht eine Estafette mit diesem Papier nach meiner Heimat, wo dasselbe heilig aufbewahrt werden wird. Widerfährt mir bei Ihnen hier das geringste Leid, so wandert das Papier zum Staatsanwalt. Was dann folgt, das können Sie sich ausmalen, nachdem ich Sie jetzt verlassen habe. Adieu, Herr Kapitän!“
Er ging, aber hinter sich vernahm er noch die vor Wut förmlich herausgekeuchten Worte:
„Hole dich der Teufel! Dieses Geschöpf des Satans ist wahrhaftig allwissend!“
Kurze Zeit später fuhren die beiden Wagen vom Schloß ab nach Thionville, und Müller wurde wirklich von der Baronin eingeladen, in dem ihrigen Platz zu nehmen. –
Gegenüber dem Haus, in welchem Doktor Bertrand sein Domizil aufgeschlagen hatte, befand sich ein Gasthof, welcher besonders von den Angehörigen des Mittelstandes besucht zu werden pflegte. Dort hatte der Zauberer Abu Hassan mit seiner Künstlertruppe Wohnung genommen.
Keiner von seinen Leuten wußte, woher der Chef eigentlich stammte, und keiner kannte die Quellen, aus denen er schöpfte. Mochte die Einnahme eine noch so karge sein, Hassan hatte immer Geld, die Mitglieder seiner Truppe zu befriedigen.
Niemand ahnte, daß er dieses Leben nur gewählt hatte, weil es ihn überall im Land herumführte und ihm reichlich Gelegenheit gab, Nachforschungen anzustellen, ohne dabei auffällig zu werden. Es galt der Entdeckung eines Geheimnisses, der Vergeltung eines Verbrechens. Hassan hatte jahrelang vergebens gesucht, hatte bereits die Hoffnung aufgeben wollen, und nun, nun stand er plötzlich vor dem Anfang des Endes.
Im kleinen Stübchen, welches an die große Gaststube stieß, saß Fritz Schneeberg bei einem Glas Wein. Neben ihm saß eine der Künstlerinnen. Sie hatte auf alle Fälle bereits dreißig Jahre zurückgelegt; ihr Gesicht predigte laut von übermäßig befriedigten Leidenschaften, doch hatten Puder und Schminke das ihrige getan, ihr ein möglichst anziehendes Aussehen zu geben. Sie war bereits für die Vorstellung in ein leichtes, durchsichtiges Flittergewand gekleidet. Das blaue, goldbeflimmerte Mieder ließ Hals, Nacken und Arme frei, und das Röckchen, kaum noch weiß von Farbe, bedeckte kaum die Oberschenkel und gab dem Blick die starken, mit durchscheinenden Strümpfen bekleideten Beine zur ungeschmälerten Besichtigung preis. Trotz ihrer vollen, schweren Gestalt war sie die Seilkünstlerin der Truppe, und selbst der sonst so lobeskarge Direktor hatte ihren Leistungen stets nur seine Anerkennung zuerteilt.
Jetzt also saß sie neben dem Deutschen, verschlang dessen volle, kräftige Gestalt mit gierigen Augen und versucht, den nackten Arm auf den seinigen zu legen, was ihr aber nicht gelang, da er sich bei allen diesen Bewegungen abweisend zurückbog.
„So komm doch her! Nur einen einzigen Kuß, Goldjunge!“ bat sie ihn.
„Laß mich, Mädchen!“ antwortete er. „Ein Schluck Wein ist mir lieber als tausend Küsse von dir!“
„Oho!“ zürnte sie. „Sehe ich denn etwa gar so widerwärtig aus?“
„Hm! Ich denke mir, den Wein hat noch niemand getrunken, du aber bist zehntausendmal geküßt worden.“
„Höre, Bursche, was bildest du dir ein!“ rief sie. „Was bist du denn? Ein Kräutermann, weiter nichts; und ich bin eine vielgesuchte Künstlerin, an deren jeder Finger sich gern zehn Männer hängen.“
„Oho, schneide nicht auf!“
„Aufschneiden? Ah, warum will mich denn der Bajazzo heiraten, he? Warum macht er mir das Leben so schwer? Warum läßt er mir weder bei Tag, noch bei Nacht Ruhe? Warum schwört er mir Rache, wenn ich seine Bewerbung zurückweise?“
„Nun, jedenfalls weil er sich auch an einem deiner Finger aufhängen will!“
„Nein, nicht deshalb, sondern weil er weiß, daß er ein riesiges Geld mit mir verdienen kann. Die Männer und Burschen sind ja alle ganz vernarrt in mich!“
„So hat dieser Bajazzo weder Liebe zu dir, noch irgendein Ehrgefühl!“
„Das fällt ihm auch beides gar nicht ein. Er ist ja eigentlich mein Stiefvater.“
„Alle Teufel! Wie alt ist er denn?“
„Weit in die Fünfzig. Meine Mutter, seine zweite Frau, ist
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