55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
erschossen wurde. Die Banknoten, welche er mir nach meiner Aussage unterschlagen haben soll, hat der Getötete mir fünf Minuten vor dem tödlichen Schuß ausgezahlt.
Ortry, den 19. Mai 1870
Albin Richemonte, Kapitän.“
Der Wortlaut dieses Eingeständnisses gefiel dem Kapitän nicht. Er widersprach, er bat, er drohte; es half ihm nichts, der Deutsche beharrte eisern auf seinem Vorsatz. Endlich hielt er das Papier unterschrieben und untersiegelt in der Hand: er trat zur Klingel und zog daran.
„Um Gottes willen, was wollen Sie noch?“ fragte der Alte besorgt.
„Bleiben Sie ruhig“, antwortete Müller. „Ich beabsichtige nichts Gefährliches.“
Und als der Diener eintrat, befahl er:
„Der Herr Kapitän läßt die gnädige Baronesse und Mademoiselle Nanon zu sich bitten.“
„Aber was sollen denn diese?“ fragte der Alte, als der Diener sich entfernt hatte.
„Sie sollen Ihre Unterschrift rekognoszieren“, antwortete Müller. „Bei Ihnen muß man vorsichtig sein. Sie können sonst alles ableugnen und für gefälscht erklären.“
Der Kapitän hätte den Deutschen erwürgen mögen, aber er mußte seine Wut verbergen. Im stillen aber gelobte er sich Rache.
„Ich werde ihn beobachten, wenn er nachher geht“, dachte er. „Ich werde sehen, wo er das Papier verbirgt. Ich werde es mir holen und die Banknoten an einem anderen Ort verstecken; dann habe ich ihn überlistet, und er ist machtlos.“
Er brachte bei diesem Entschluß weder den Erdspiegel, oder was ja ganz dasselbe war, die Klugheit Müllers in Rechnung.
Es dauerte gar nicht lange, so erschienen die beiden Damen, ganz begierig zu wissen, was der so seltene Ruf zum Kapitän bedeutete. Sie waren erstaunt, Müller bei ihm zu sehen, und ihr Erstaunen wuchs, als dieser sie anredete:
„Mesdemoiselles, ich stehe im Begriff, mir eine sehr große Gefälligkeit von Ihnen zu erbitten. Der Herr Kapitän hat mir hier einen Revers ausgestellt, zu dessen Gültigkeit unbedingt erforderlich ist, daß zwei Personen bezeugen, daß Unterschrift, Siegel und Stempel wirklich von ihm stammen. Würden Sie die Gewogenheit haben, dies durch ein paar Worte und Ihre Unterschrift zu beurkunden?“
„Gern!“ sagte Marion bereitwillig. „Großpapa, du hast das geschrieben, untersiegelt und gestempelt?“
„Ja“, antwortete er, innerlich knirschend. „Aber ihr beide dürft es nicht lesen!“
„Gut so legen wir etwas darauf!“
Sie bedeckte den Inhalt mit einem Papierblatt und schrieb dann zwei Zeilen. Als sie fertig war, schob sie die Schrift der Freundin hin. Diese unterzeichnete, und nun las Marion vor:
„Wir haben geschrieben: ‚Daß diese Unterschrift nebst Stempel und Siegel in Wirklichkeit von der Hand meines Großvaters, des Kapitäns Albin Richemonte, stammen, bescheinigen wir mit unserer Unterschrift. Marion de Sainte-Marie. Nanon Charbonnier.‘ Ist es so richtig?“
„Ganz und gar“, antwortete Müller, indem er sich verbeugte. „Nehmen Sie unseren herzlichen Dank!“
Die Damen sahen, daß sie entlassen seien, dennoch aber fragte Marion den Deutschen:
„Ich höre von Alexander, daß Sie mit uns nach Thionville fahren werden?“
„Ja; er hat mich, sozusagen, zu dieser Tour gepreßt“, antwortete er lächelnd.
„Uns ebenso; doch müssen wir dies schwere Leiden mit Geduld ertragen. Adieu!“
Als sie sich entfernt hatten, erhob sich der Alte und stand in der Überzeugung, daß er seinen Gegner doch noch betrügen werde, in stolzer Haltung da.
„Nun sind wir wohl fertig?“ fragte er.
„Ja, obgleich ich eigentlich noch im Sinne hatte, dafür zu sorgen, daß die Banknoten nicht verschwinden, sondern als Beweis zurückbleiben. Allein derselbe ist nicht mehr nötig. Ihre Unterschrift und diejenige der Damen genügt vollständig.“
„So können Sie gehen!“
Er wendete sich in einer nach seiner Ansicht imponierenden Haltung ab. Müller aber blieb stehen und beobachtete ihn mit stillem Lächeln. Da wandte jener sich rasch wieder um und fragte:
„Nun, ich denke, wir sind fertig!“
„Allerdings, bis auf eine kurze Bemerkung. Ich bin überzeugt, daß Sie mich noch immer zu niedrig taxieren. Ihre persönliche Haltung, Ihr so schnell veränderter Ton sind eine Unvorsichtigkeit, denn sie lassen mich vermuten, daß Sie noch immer glauben, mich überlisten zu können. Ich weiß, in welcher Weise dies nur geschehen kann: Sie werden durch ein gewisses, matt geschliffenes Glas beobachten, wohin ich das Papier lege, und es mir dann stehlen.
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