55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
früh gestorben, und von dieser Zeit an hat er mich in der Welt herumgeschleppt. Als ich ein Kind war, hat er meine kleine Gage stets in seine Tasche gesteckt; als ich größer und klüger wurde, hielt ich meine eigene Kasse. Das will er ändern. Ich soll seine Frau werden, damit er es wieder machen kann wie früher. Aber er bringt es nicht so weit, der Lüdrian, der Trunkenbold. Er säuft von früh bis abend, so daß es ein wahres Wunder ist, daß er den Hals noch nicht gebrochen hat. Lieb wäre mir das. Doch – – –“
Sie unterbrach sich und starrte nach seinem Hals. Er bemerkte das und fragte:
„Was hast du, daß du mich so anstarrst?“
„Dieser Zahn, oh, dieser Zahn! Zeig her, zeig her!“
Sie griff nach der Kette, zog den Zahn näher und betrachtete ihn mit funkelnden Augen.
„Was ist's mit dem Zahn?“ fragte er.
„Er ist's er ist's. Es ist der eine! Mensch, du siehst ihm so ähnlich, dem die beiden Zwillingsknaben geraubt wurden, diese Ähnlichkeit ist mir sogleich aufgefallen; ich war ein achtjähriges Mädchen, und er war nicht viel älter als du jetzt. Sage, woher hast du diesen Zahn?“
Die Worte des Mädchens hatten ihn aufmerksam gemacht.
„Doch von meinen Eltern“, antwortete er.
„Wer waren sie?“
„Das weiß ich nicht; ich bin ein Findelkind.“
„Ein Findelkind!“ schrie sie förmlich auf. „Wo hat man dich gefunden?“
„In der Nähe eines Dorfes bei Neidenburg in Ostpreußen“, antwortete er, und richtete voller Erwartung seine Augen auf das erregt vor ihm stehende Mädchen.
Fritz glaubte, dem Mädchen die Wahrheit sagen zu können. Nanon aber, so sehr er diese anbetete, hatte er gesagt, daß er zwischen den Bergen, also wohl in der Schweiz, gefunden worden sei, weil er in der Umgebung für einen Schweizer gehalten werden sollte.
„Bei Neidenburg!“ jubelte das Mädchen. „Du bist's! Du bist's! Oh, nun kann ich dich zwingen, mich lieb zu haben, denn ich weiß ein Geheimnis, welches mir deine Liebe verschaffen kann. Willst du mich lieb haben, sehr lieb? Antworte schnell!“
„Was ist's für ein Geheimnis?“ fragte er.
„Sag erst, ob du mich lieben willst!“ drängte sie.
„Nein!“ antwortete er, sich abwendend.
„Nur dann will ich dir sagen, wer deine Eltern sind, wenn du mir gehören willst.“
Schnell drehte er sich wieder zu ihr.
„Meine Eltern?“ rief er. „Kennst du sie?“
„Ja, ganz genau. Ihr wart Zwillingsbrüder. Ihr wurdet geraubt auf den Befehl eines hohen Herrn, der den Räuber reich belohnte. Später aber gingt ihr verloren, du bei Neidenburg und der andere –“
Da öffnete sich die Tür, und der Bajazzo trat ein. Seine Augen funkelten vor Wut, und er fragte:
„Was treibt ihr da, he? Soll ich euch mit dem Stock auseinander treiben? Jetzt eben schlägt es zwei Uhr, und die Vorstellung soll anfangen. Wie siehst du aus, Metze! Pack dich sofort in die Garderobe! Und dieses Bürschchen da werde ich bei den Ohren nehmen und daran erinnern, daß es hier bei uns –“
Er hielt mitten im Satz inne. Sein Blick war auf die Kette und den Zahn gefallen. Er war betrunken, sogar sehr betrunken, aber er erbleichte dennoch. Ohne seine Schimpfrede fortzusetzen, drehte er sich um und verließ das Stübchen. Er sah so verwirrt und erschrocken aus wie einer, den die Nemesis beim Schopf fassen will.
„Was war so plötzlich mit ihm?“ fragte Fritz das Mädchen.
„Er sah diesen Zahn“, antwortete sie. „Siehst du, welche Wirkung dieser hat! Nach der Vorstellung sprechen wir weiter. Jetzt muß ich in die Garderobe. Aber so ist es, wenn die Liebe zu stark wird, zerreißen die Kleider. Also überlege es dir, ob du mich haben willst, wenn ich dir eine Grafenkrone dafür gebe.“
Sie ging und ließ den Deutschen in größter Erregung zurück. Er stand vor der Lösung seines Geheimnisses, aber der Schlüssel stank vor Schmutz. Was sollte er tun? Oh, wenn er doch einmal mit Nanon reden könnte! Kam sie vielleicht zur Vorstellung? Dieselbe war ja auf allen umliegenden Ortschaften angemeldet worden. Aber nein; für die Bewohner von Schloß Ortry war dies Vergnügen nicht passend.
Fritz ging, um sich eine neue Bluse zu kaufen, da er keine andere besaß, als die zerrissene.
Nicht weit vom Gasthaus war ein Laden; dorthin ging er. Er fand, was er suchte, kaufte und bezahlte das Stück und zog es sogleich an, die alte dem Händler als Geschenk zurücklassend. Als er aus dem Laden trat, kamen soeben zwei Wagen herangerollt. Im ersten erblickte er
Weitere Kostenlose Bücher