56,3° Im Schatten
Einheimischer durchgeht. Der Ausbildner ist mit dem Musterkoffer vom Loden Friedrich in der Hand zu ihnen in die Klasse gekommen, und dann hat er ihnen vorgeführt, wie es geht.
„Zuerst das Grundsätzliche: Mit Schlitzaugen geht gar nichts, und mit einer Negerhaut samt Neger-Schlauchbootlippen im Gesicht erst recht nicht!“
Dann, mehr ins Detail gehend, hat er erklärt, wie in der saftigen Heimat die Wollstutzen getragen werden müssen und auf welcher Seite am Hut der Gamsbart zu stecken hat. „Ohne Gamsbarthut überhaupt nie hinausgehen!“, hat er sie angewiesen. „Oder kann sich von euch vielleicht irgendwer vorstellen, dass der Negerhauptmann ohne seine Negerwolle am Schädel hinausgeht, oder das Mondgesicht aus den Anden ohne seine gestrickte Pudelhaube in den grauslichen bunten Farben, kann sich das vielleicht irgendwer vorstellen?“
„Wir nicht!“
„Das will ich meinen! Wir von der österreichischen Gendarmerie im Besonderen und wir vom gesegneten österreichischen Volk im Allgemeinen danken ja mit stolzgeschwellter Brust praktisch jeden Tag dem Herrgott, dass wir Einheimische sind und keine Hugenotten oder Hottentotten oder sonstige Falotten, also was ist, hör ich vielleicht ein vielstimmiges Danke?“
„Danke!“, haben sie alle miteinander im Chor geschrien, außer der Biermösel natürlich, der in das ganze saftige Gebrüll hinein einen Ordentlichen hat fahren lassen, woraufhin wieder einmal alle kollabiert sind und die ganze Schule geräumt hat werden müssen, Alarm, Alarm. Aber damals hat er sein Talent noch nicht richtig einschätzen können und hat sich mit dem Kollaps der Mitmenschen zufriedengegeben, während er heute nach der Vernichtung der Welt strebt.
An diese Worte vom Ausbildner jedenfalls erinnert sich der Biermösel jetzt wieder, als er endlich den Weiß Ferdl auf seiner Chaiselongue (und nicht etwa auf seiner Ofenbank!) liegen sieht, und sein Anblick ist dann überhaupt die Enttäuschung des Sommers!
Ausschauen tut er nämlich – jedenfalls nach allem, was man nach dem ersten Ad-hoc-Blick sagen kann – wirklich mehr wie ein Franzose als wie ein einheimischer König, mit seinem schwarzen Rollkragenpullover und dem dünnen Bärtchen, das den Biermösel frappant an den Damenbart von seiner Mutti erinnert.
„Hat der nicht immer von der ewigen Liebe gesungen?“, kann er sich dann einen Seitenhieb auf die ewige Liebe nicht ersparen. „Wie kann denn so einer überhaupt sterben?“
Mit einem Staatsbegräbnis für den Ferdl wird es in diesem Franzosen-Aufzug jedenfalls nichts werden, da wettet er tausend weiße Rosen. Die Tränen vom Volk werden schneller versiegen als die Tränen auf seinen Wangen, nachdem er die Mutti und ihre Dutteln an den Schonn Gabönn verloren hat, und bei ihm war in neun Tagen, sieben Wochen, vierzehn Monaten und einem Jahr alles vorbei.
Nachdem der Biermösel in Überschreitung seiner Kompetenz beim Ferdl einen gewaltigen „Hitzschlag“ als Todesursache festgestellt hat, legt er ihn gedanklich einfach zu dem ganzen Haufen mit den anderen Opfern seiner Erderwärmung dazu, und dann sagt er zur Roswitha:
„Abmarsch! Ich hab ja auch noch einen gewaltigen Brummschädel!“
Der fette Knödel aber entwickelt ein überraschendes Eigenleben, mit dem der Biermösel nicht gerechnet hat:
„Zwar sehe ich Beweise, dass der Ferdl wie ein Franzose ausgeschaut und auch wie einer gestorben ist“, sagt sie gespreizt wie der Rock Rockenschaub in seinen blöden Romanen. „Aber fragt hier auch einmal einer nach dem Warum?“
Meine Güte, denkt sich der Biermösel, warum müssen die Weiber eigentlich immer nach dem „Warum“ fragen?
Während er sich dann ein weiteres Mal fragt, warum ihm die Mutti nicht einen kleinen fetten Knödel von einem Bruder hinterlassen hat können, hat die Roswitha schon längst den Briefkasten ausgeräumt und die ganze Fanpost vom Ferdl durchgeblättert, die sich bei einem König natürlich kistenweise stapelt – jede Menge Briefe von einsamen, vernachlässigten Hausfrauen, die sich nach ein bisserl körperlicher Liebe mit ihm sehnen und die an den „Weiß Ferdl, Spitzgiebelaltbau, Aussee“ adressiert worden sind, alle keine Überraschung, insbesondere nicht ihre eigenen Brief, die ihr jetzt ein bisserl peinlich sind.
Der wahlwerbende Brief vom „Moviemento contro il Alcohol, dafür pro Jesu“ aber, der mit der Bitte um einen kleinen Obolus für die Wahlkampfkasse endet, ist nicht an den Weiß Ferdl gerichtet, sondern an
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