56,3° Im Schatten
schwarze Wolke in Richtung Gebirgskamm hinaufschraubt, wo sie sich dann alle miteinander vor dem Spitzgiebelaltbau vom Weiß Ferdl in den zähflüssigen Verkehr einreihen, der dann vor der sperrangelweit geöffneten Eingangstüre überhaupt zum Erliegen kommt, so weit kann das patentierte Adlerauge vom Biermösel nämlich sehen, und spätestens jetzt denkt er sich:
Alarm, Alarm!
Wenn sich die Fliegenplage nämlich ausweitet, dann fressen ihm die Viecher am Ende noch das Fleisch vom Griller, und alle seine Bemühungen für einen gemütlichen Grillabend waren umsonst.
Also schnell den Auerhahn zugesperrt und rundherum noch ein paar kräftige Stinkbomben hingeschissen, in denen jeder umkommen wird, der sich dem Auerhahn in feindlicher Absicht nähert und es auf seinen Bierkeller abgesehen hat.
Der Biermösel wird der Ursache für die Fliegenplage dort oben im Spitzgiebelaltbau einfach selbst auf den Grund gehen, so wie der Jason Castelli immer den Ursachen für dieses und jenes selbst auf den Grund geht. Und weil die Roswitha seine kühlende Feuchtigkeit nicht mehr missen möchte, lässt sie sich auch mit dem gut platzierten Leberhaken nicht mehr abschütteln, als er endlich die Fips besteigt und den Kickstarter tritt, also nimmt er sie halt mit.
Nachdem seine treue Fips ihn mit dem schweren Ballast vorm Spitzgiebelaltbau oben am Gebirgskamm abgeworfen hat, nach einer abenteuerlichen Fahrt die Serpentinen hinauf, während der sie sich wegen der deutlich höheren Nutzlast die Lunge herausgehustet hat, schaut der Biermösel mit den ganzen zerfetzten Fliegen im Gesicht im Wesentlichen aus wie eine Autobuswindschutzscheibe nach einer längeren Ausflugsfahrt im schwülen Sommerwind, sodass ihn die Roswitha gar nicht mehr erkennen würde, wenn sie ihn denn anschauen täte.
Aber das tut sie nicht.
Stattdessen hat sie schon ihren Rezeptblock samt dem gut gespitzten Griffel gezückt, und dann geht es los: Wie der eifrige Ermittler im Freitagskrimi steht sie bei der Eingangstür vom Weiß Ferdl zwischen den ganzen Fliegen herum und notiert: „Obwohl Eingangstüre sperrangelweit offen, stauen sich einheimische Fliegen heraußen im Freien, warum?“
Böse Gerüchte hat es schon früher gegeben, aber böse Gerüchte gibt es immer. Dass der Weiß Ferdl gar nicht „unser“ Weiß Ferdl ist zum Beispiel, sondern ein halber Ausländer, „der ist ja summa summarum mehr ein Franzose“, haben sie gesagt, „mit seiner Samtstimme, seinem Dackelblick und dem dauernden ,Schö Tem‘!“
Die Ad-hoc-Außenansicht vom Spitzgiebelaltbau entkräftet aber zumindest in den Augen vom Biermösel diese Gerüchte vollkommen. Die Hülle glänzt wie vorgeschrieben in schwarzem Holzlack, der Spitzgiebel ist von einer einmaligen Spitzheit, die Schnitzkunst von Meisterhand ausgeführt, rot-weiß-rote Fensterläden, ein Hirschgeweih über der Tür sowie ein Wetterhäuschen, größer als die Garageneinfahrt vom Schwarzenegger drüben in Amerika, ergeben alles in allem einen vorbildlichen einheimischen Traumaltbau, an dem nichts auszusetzen ist, freilich mit der vorläufigen Einschränkung:
Nach außen hin! Wie es in so einem Spitzgiebelaltbau nämlich innen ausschaut, das weiß man ja immer erst, nachdem man eingetreten ist.
Ein erster Rundum-ad-hoc-Blick im Inneren der Höhle genügt dem Biermösel, um ihn erschaudern zu lassen: Der Weiß Ferdl wohnt allem Anschein nach nicht in einem Stammtischnachbau aus Holz, wie es für Volksmusikanten vorgeschrieben wäre, sondern in einer Denkerstirn-Bude aus Glas und Plastik, eine Knopferlharmonika suchst du bei dem jedenfalls vergeblich, dafür hat er sich ein Klavier hereingestellt. Wo das Auge auch hinstreift – es findet sich im ganzen Haus kein Herrgottswinkel und kein einziges Hirschgeweih, an dem eine Jägertracht hängen täte, keine rot-weiß karierten Deckchen liegen am Tisch und keine Dielen am Boden. Stattdessen ist alles in unpersönlichem Weiß gehalten, überall stehen Bücherregale und Chanson-Platten herum, und an der Wand hängt zwar das in den hiesigen Regionen vorgeschriebene Stickdeckerl, aber wo normalerweise „Hier ist es fein, hier kehr ich ein, hier wohnt mein kleines Herzilein!“ draufstehen müsste, steht bei ihm nur „L’Humtatá, c’est moi!“, Kruzifixnocheinmal, was soll denn das jetzt wieder heißen?
Schon in der Gendarmerieschule oben in Linz hat der Biermösel im Fach „Heimat, saftige Heimat“ gelernt, wie ein Mensch auszuschauen hat, damit er als
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