56,3° Im Schatten
Spritzen von der Roswitha pfeift ihnen wahlweise knapp an den Ohrwascherln vorbei oder überhaupt gleich mitten durchs Hirn, je nachdem, ob seine Schwester gerade wieder Sheriff werden möchte oder sich doch wieder nach körperlicher Liebe sehnt.
Breitbeinig wie der John Wayne den Saloon am Viehzüchterkongress, betritt der Biermösel dann die Wirtsstube, in der die Roswitha jetzt hinter zugezogenen, schweren Vorhängen sitzt, ganz in sich selbst versunken, abgewandt von der Welt und, wie es ausschaut, mit einem furchtbaren Geheimnis schwer auf ihren Schultern lastend.
„Eh die ganze Familie schwierig!“, bricht es aus ihr heraus, noch bevor er sie mit einem Fußtritt in den Arsch um ein Bier schicken kann. „Eh schon eine schlechte Nachrede im ganzen Ort! Und dann liegt der feine Herr auch noch tagelang in seinem Ölfass hinter dem Wirtshaus herum und schreit gegen eine Verhörlampe an, die es in der Wirklichkeit gar nicht gibt!“
„Und hat mich in der Wirklichkeit wenigstens eine gesucht in meinem Ölfass da draußen?“, schreit der Biermösel zurück, aber da muss ihn die Roswitha natürlich enttäuschen:
„Nicht eine Einzige.“
Da liegt er also tagelang in einem leeren Ölfass herum, besoffen bis über beide Ohren, verfolgt von Dämonen aus seinen Comichefterln und umstellt von Holzfällern und Bauerntrotteln, die Bierschaum von seinem Schädel herunterpflücken und von denen er wahrscheinlich einen für den Innenminister gehalten hat, und dann gibt es nicht eine Einzige, der er abgegangen wäre und die ihn deswegen gesucht hätte?
Das ist dann sogar im mit Tiefpunkten gepflasterten Leben vom Biermösel ein einmaliger Tiefpunkt an Einsamkeit, in den er sich da selbst hineingefurzt hat. Und kurzzeitig überlegt er beim Anblick der Roswitha und ihrem Schlachtermesser sogar, ob er nicht doch endlich den Sack zumachen und mit ihr in die Kammer hinaufgehen soll, sobald sie wieder einmal „Ich will körperliche Liebe!“ gesagt hat, und er überlegt weiter, ob er sich dann von ihr dort oben nicht einfach missbrauchen lassen soll, und zwar noch gründlicher als vor kurzem am Gendarmerieposten, sodass die Segnungen ihrer körperlichen Liebe gleichzeitig auch seinen endgültigen Abschied von dieser elenden Welt bedeuten.
Aber sogar da war ein anderer schneller!
So wie der Jason Castelli in irgendeiner Ecke vom Dschungel in Kongolien immer die vom Löwenrudel zerfetzte Gattin vom Wildhüter entdecken muss, so entdeckt der Biermösel in einer Ecke der Gaststube auf einmal seinen alten Freund Grasmuck, den er ursprünglich zur Unterstützung seiner Erderwärmung oben am Dachboden aufgestellt hat, was aber – im Nachhinein betrachtet! – keine so gute Idee war. Komplett zerschunden und zerlegt liegt er herum, sexuell missbraucht bis dorthinaus, halb aufgefressen und halb wieder ausgespuckt, Opfer eines furchtbaren Aktes von abartigem Kannibalismus.
Zwar hätte der Biermösel jetzt auch eine voltstarke Verhörlampe draußen in der Garage stehen, mit der er seiner Schwester auf den Pelz rücken und ein Geständnis aus ihr herausquetschen könnte, aber sie hat das Schlachtermesser in der Hand.
„Hast du damit was zu tun?“, fragt er sie daher nur aus sicherer Entfernung und ohne den sonst schneidigen Unterton, aber sie schneidet nur weiter an ihren Zehennägeln herum und sagt ganz ruhig:
„Ich war es nicht.“
Das kann ein unerfahrener Ermittler jetzt glauben oder nicht, je nachdem. Dem Biermösel aber mit seiner ganzen Erfahrung im Beruf und dem jahrlangen Studium seiner Lieblingscomics hat alleine das Blut um ihre Lippen herum alles gesagt: dass ihr Magen gar nicht so empfindlich ist, wie er immer geglaubt hat. Weil seine Schwester nämlich doch nicht nur „Gentlemanermittler Rock Rockenschaub“ liest, wie er immer geglaubt hat, sondern heimlich auch seine Comicshefterln mit dem Jason Castelli im Dschungel von Kongolien und den ganzen schönen Geschichten vom Kannibalismus, die sie ihm vom Scheißhaus herunterstiehlt und nicht der Flüchlingsrotzbub Juanito, den er ursprünglich im Verdacht gehabt hat.
Fliegen
Der Biermösel hätte die Roswitha dann gerne um ein paar Eiswürfel für den Grasmuck in den Keller hinuntergeschickt, damit die Fliegen ihn nicht gar so schnell fressen und er ihn noch ein bisserl länger anschauen kann, schließlich war er sein einziger Freund.
„Selber schuld!“
Aber trotz der Schwere ihres Verbrechens und trotz der drückenden Beweislast bleibt der kleine
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